Wurst, Schmelzkäse, Coca-Cola: Die meisten Leute nehmen täglich Phosphatzusätze zu sich – ohne es zu wissen. Phosphatzusätze dienen als Konservierungsmittel, Geschmacksverstärker, Stabilisator oder Säuerungsmittel. Klar deklariert sind die Zusätze kaum. Fast immer verstecken sie sich hinter E-Nummern (siehe Kasten). Auch die gesundheitlichen Auswirkungen sind den wenigsten Konsumenten bekannt.
Mediziner sehen dringenden Aufklärungsbedarf: Fünf deutsche Ärzte werteten rund 30 wissenschaftliche Arbeiten und Studien zu Phosphatzusätzen aus. Ihre Übersichtsarbeit veröffentlichten sie vor kurzem im «Deutschen Ärzteblatt». Darin warnen sie vor einem «vermeidbaren Gesundheitsproblem von bislang unterschätztem Ausmass». Phosphat wird dann gefährlich, wenn sich zu viel davon im Blut ansammelt und es dort Blutgefässe schädigt. Als Folge davon drohen ein beschleunigter Alterungsprozess, Gefäss- und Organverkalkung, Osteoporose oder Herzinfarkt.
Bisher gingen die Mediziner davon aus, dass Phosphat vor allem für Nierenkranke schwere Folgen haben kann. Grund: Geschädigte Nieren scheiden weniger Phosphat aus. Dadurch erhöht sich der Phosphatspiegel.
Phosphatkonsum hat sich seit den 90er-Jahren verdoppelt
Gemäss der Studie im «Deutschen Ärzteblatt» gibt es aber noch mehr Gefahren. Die Wissenschafter fanden heraus, dass auch gesunde Personen mit gerade noch normalem Phosphatspiegel ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingehen. Dies ist besonders alarmierend, da sich der Konsum von Phosphatzusätzen laut dem Ärzteblatt «seit den 90er-Jahren von knapp 500 Milligramm (mg) pro Tag auf 1000 mg pro Tag mehr als verdoppelt» hat.
Verantwortlich dafür ist die Lebensmittelindustrie, die Fastfood- und Fertigprodukten vermehrt Phosphat beimengt. Bei Wurst- und Fleischprodukten dienen Phosphatzusätze als Stabilisatoren. Man findet sie beispielsweise bei der Migros im Holzofen-Fleischkäse (E 450), in der St. Galler Olma-Bratwurst (E 450, E 452) und in den M-Classic-Knackerli (E 450, E 451, E 452). Bei Coop unter anderem in den Bell-Barbecue-Würsten oder im Naturafarm-Hinterschinken (E 450, E 451).
«Immer häufiger auch junge Patienten betroffen»
Auch in Pulvern sollen die potenziell gefährlichen Phosphatzusätze stabilisierend wirken. Sie tauchen zum Beispiel auf in Nescafé-Produkten wie Café au lait oder im Cappuccino von M-Budget (E 339).
Im Schmelzkäse sind Phosphatzusätze als Schmelzsalze weit verbreitet. So beispielsweise bei Léger Swiss Fit von der Migros (E 339, E 450, E 452), bei La Vache qui rit (E 341, E 450, E 452) oder bei der Prix-Garantie-Schmelzkäsezubereitung von Coop (E 450, E 452).
In Soft- und Fruchtgetränken setzen die Hersteller Phosphat als Säuerungsmittel ein. Bekanntestes Beispiel: Coca-Cola (E 338). Sportler schlucken Kaliumphosphat (E 340) mit dem Getränk Gatorade Red Orange.
Der Hamburger Ernährungsspezialist Matthias Riedl kennt die Arbeit im «Deutschen Ärzteblatt». Auch er warnt vor Phosphatzusätzen: «Aus der täglichen Praxis erlebe ich bei nierengesunden, jungen Patienten immer häufiger Phosphatwerte im Blut, die gerade noch im normalen Bereich liegen.»
Laut Matthias Riedl gilt eine Zufuhr von täglich 1000 mg an zugesetztem Phosphat als «absolute Obergrenze». Wer einen Hamburger mit Schmelzkäse esse und dazu einen halben Liter Cola trinke, habe diesen Grenzwert bereits überschritten. Man könne davon ausgehen, dass Menschen, die regelmässig industriell verarbeitete oder veredelte Produkte konsumieren, bedenkliche Phosphatwerte im Blut aufweisen. «Das bedeutet ein Risiko für eine Arterienverkalkung oder eine Schädigung von Haut und Muskulatur.»
Und welche Anzeichen gibt es für einen erhöhten Phosphatspiegel? Riedl: «Leider spürt man davon nichts.» Erst später, bedingt durch die Arterienverkalkung, zeige sich eine grössere Neigung zu Herzinfarkten und Schlaganfällen sowie eine Alterung der Haut.
Deklaration: Keine Pflicht zur Mengenangabe
Die Lebensmittelindustrie darf die Phosphatzusätze durch die Kennzeichnung mittels E-Nummern verschleiern. So sieht es die Schweizer Zusatzstoffverordnung vor. Für die Experten noch viel störender: Der tatsächliche Gehalt der zugesetzten Phosphate ist bei den Produkten nicht ersichtlich. Sowohl die Mediziner im Ärzteblatt als auch Riedl fordern deshalb eine mengenmässige Deklarationspflicht. Riedl: «Die Konsumenten müssen sich über die Gefährlichkeit eines Produktes informieren können.»
Kaspar Berneis, Stoffwechselexperte am Universitätsspital Zürich, bestätigt die Phosphat-Problematik: «Meines Erachtens müssen die vorhandenen Daten sehr ernst genommen werden, auch wenn es sicher weitere Studien braucht.» Bei Phosphaten als Lebensmittelzusätze sei «ein zu leichtfertiger Umgang potenziell gesundheitsgefährdend». Berneis: «Die Forderung, den Zusatz von Phosphaten in der Nahrung genau zu deklarieren, ist nicht nur für Patienten mit Nierenerkrankungen, sondern aufgrund der vorhanden Daten auch für Gesunde angezeigt.»
Beim Bundesamt für Gesundheit will man davon nichts wissen. Die Datenlage reiche nicht aus, um einen Zusammenhang zwischen einer hohen Phosphatzufuhr und einer höheren Sterblichkeit herzustellen. Sprecherin Eva van Beek erklärt, aufgrund der Studien der deutschen Ärzte könne keine Aussage über den Zusammenhang eines hohen Phosphatspiegels und der Sterblichkeitsrate gemacht werden. Ohne entsprechende Daten sieht das Bundesamt keinen Handlungsbedarf.
APP: E-Nummern auf einen Blick
Die saldo-E-App zeigt, welche Zusatzstoffe sich hinter E-Nummern verstecken. Die App braucht keine Internetverbindung und lässt sich in jedem Laden nutzen: Einfach die E-Nummer eingeben. Sofort ist ersichtlich, ob es sich um harmlose oder heikle Zusatzstoffe handelt. Der Inhalt wird laufend aktualisiert. Das Programm kostet 4 Franken. Die App findet man im App Store oder im Android Market.
Die Liste mit Infos über E-Nummern gibt es auch im Internet unter www.saldo.ch (für Abonnenten gratis).
Zutatenliste: So erkennen Sie Phosphatzusätze
Phosphat ist ein Mineralstoff, der in den meisten Lebensmitteln enthalten ist. Natürliches Phosphat wird vom Körper nur teilweise aufgenommen. Hier besteht laut Ärzten keine Gefahr.
Anders verhält es sich mit Phosphatzusätzen, sogenannten «freien Phosphaten». Diese nimmt der Körper effektiv auf – es kommt zu einer deutlich messbaren Erhöhung des Phosphatspiegels.
Phosphatzusätze sind in den Zutatenlisten als folgende E-Nummern deklariert: E 338 bis E 341, E 343, E 442, E 450 bis E 452, E 541, E 1410, E 1412 bis E 1414, E 1442.
Buchtipp
Einkaufstipps und alles über E-Nummern finden Sie im Ratgeber «Essen und trinken: Tipps für eine gesunde Ernährung» (1. Auflage, 166 Seiten). Zu bestellen auf www.saldo.ch.