Unlesbare Schriftgrössen ärgern Kunden
Die Angaben auf Lebensmittelpackungen sind oft zu klein aufgedruckt. Die EU wird die minimale Schriftgrösse voraussichtlich auf 3 Millimeter festlegen. Die Schweizer Behörde verspricht nachzuziehen.
Inhalt
saldo 10/2009
23.05.2009
Letzte Aktualisierung:
26.05.2009
Petra Stöhr
Unlesbare Zutatenlisten auf verpackten Lebensmitteln sind für Konsumenten ein regelmässiges Ärgernis: winzig kleine oder verschwommene Schriften, eng aneinanderliegende Buchstaben, schlechte Kontraste und neben den drei Schweizer Amtssprachen Angaben auf Griechisch, Ungarisch oder Slowenisch. Selbst mit Brille sind die Angaben für viele nicht zu entziffern. Für Allergiker können die Konsequenzen fatal sein, wenn sie die Geheimschrift auf den Etiketten nicht lesen...
Unlesbare Zutatenlisten auf verpackten Lebensmitteln sind für Konsumenten ein regelmässiges Ärgernis: winzig kleine oder verschwommene Schriften, eng aneinanderliegende Buchstaben, schlechte Kontraste und neben den drei Schweizer Amtssprachen Angaben auf Griechisch, Ungarisch oder Slowenisch. Selbst mit Brille sind die Angaben für viele nicht zu entziffern. Für Allergiker können die Konsequenzen fatal sein, wenn sie die Geheimschrift auf den Etiketten nicht lesen können.
Süsswaren: In Deutschland zwei von drei Verpackungen bemängelt
Die Verbraucherzentrale des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen hat kürzlich die Verpackungen von Süsswaren und Knabberartikeln geprüft. Und festgestellt: «Die Hersteller führen die Auflistung der Zutaten ad absurdum.» Zwei Drittel der Produkte hielten dem kritischen Blick der deutschen Konsumentenschützer nicht stand. saldo fand auch in den Schweizer Lebensmittelgeschäften unlesbare Etiketten. Aldi verkauft Haribo Saure Pommes, deren Inhaltsstoffe auf durchsichtigem Plastik aufgedruckt sind – die eng gedruckte, unscharfe weisse Schrift ist nicht zu entziffern.
Auf dem von Migros verkauften 4er-Pack Tic Tac stehen die Zutaten ebenfalls in unscharfer weisser Schrift auf orangem Hintergrund. Auf den bei Coop erworbenen Einzelportionen Mövenpick-Glace herrscht babylonische Sprachenvielfalt auf engstem Raum und in winziger Schrift: Deutsch, Französisch, Holländisch, Englisch, Russisch und asiatische Schriftzeichen.
«Führt die EU die 3-Millimeter-Regel ein, übernehmen wir sie»
Geht es nach der EU-Kommission, soll sich dies ändern. In der neuen Verordnung heisst es: «Die Schriftgrösse muss mindestens 3 Millimeter betragen und so gestaltet sein, dass sich die Schrift merklich vom Hintergrund abhebt.» Nun hat das EU-Parlament über die Verordnung zu befinden. Die Abstimmung findet nach den Europawahlen im Juni statt. Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) wartet auf eine Entscheidung der EU. Sprecherin Sabine Helfer: «Für die Schweiz macht eine Regelung nur in Absprache mit der EU einen Sinn. Wenn die EU die 3-Millimeter-Regel einführt, übernehmen wir sie.» Gemäss der Schweizer Lebensmittelverordnung müssen die Angaben «in leicht lesbarer und unverwischbarer Schrift» angebracht sein, eine Minimalschriftgrösse ist nicht definiert.
«Leicht lesbar» lässt einen grossen Interpretationsspielraum offen. Deshalb haben die Schweizer Kantonschemiker einen Kriterienkatalog mit Minimalanforderungen erstellt: «Die Lesbarkeit von obligatorischen Angaben muss mindestens so gut sein wie eine Schrift in Arial oder Helvetica, Schriftgrösse 7 Punkt, schwarze Farbe auf weissem Grund, gute Auflösung und genügend Zeilenabstand.» Eine 7-Punkt-Schrift ist knapp 2 Millimeter hoch. Damit ist die Schweizer Vorschrift im Vergleich zur geplanten EU-Verordnung wenig konsumentenfreundlich (Schriftvergleich siehe Kasten im pdf-Artikel). Doch die Lebensmittelhersteller verletzen selbst diese Minimalanforderungen. Die Beschriftungen beispielsweise eines Manor-Olivenöls, eines Gläschens Coop-Kapern, einer Schale Migros-Fleischkäse und einer Henniez-Pet-Flasche sind maximal 1,5 Millimeter gross. Dies hält eine Zürcher Optikerin für unlesbar: «Schriften, die kleiner sind als 2 Millimeter, können nur Menschen mit sehr guten Augen lesen. Selbst dann müssen die Kontraste scharf sein.»
Aufschriften in etlichen Sprachen für den weltweiten Verkauf
Die Winzigschriften zeigen: Jedes Gesetz ist nur so gut wie die Kontrolle. Die Kantonschemiker kontrollieren die Schriftgrössen zwar, aber nicht systematisch und flächendeckend. Der Berner Kantonschemiker Otmar Deflorin: «Wie in den anderen Bereichen der Lebensmittelkontrolle handelt es sich um Stichprobenkontrollen.» Die Kantonschemiker beanstanden regelmässig nicht lesbare oder zu kleine Angaben. Deflorin: «Dabei handelt es sich mehrheitlich um ausländische Produkte, die in mehreren Sprachen beschriftet sind, denn sie stehen fast weltweit mit gleicher Etikette im Verkauf.» Die deutsche Firma Haribo tut dies ebenso wie das Schweizer Unternehmen Mövenpick.
Die von saldo angefragten Detailhändler schieben die Verantwortung auf die Produzenten ab. «Der Einfluss bei Markenlieferanten ist nur beschränkt», heisst es bei Lidl. Die Sprecher von Spar, Migros, Denner und Coop erklären, man habe Markenproduzenten auf kleine Schriftgrössen aufmerksam gemacht.
Weniger Verstösse bei den Eigenmarken der Schweizer Detaillisten
Alle betonen, sie würden sich an die Richtlinien der Kantonschemiker halten. Bei den Eigenmarken ist dies meist der Fall, wie die saldo-Recherche zeigt. Migros-Sprecherin Martina Bosshard: «Zeigt eine Kundenreklamation, dass die Schriftgrösse von der Migros-Vorgabe abweicht, wird sie bei der nächsten Verpackungsanpassung korrigiert.» Nicolas Schmied von Coop erklärt: «Fehlt der Platz, reduziert Coop schrittweise die Grafik, das Bild oder lässt eine Sprache weg.» Aber: Auf den Verpackungen von Coop-Kapern ist ebenso viel ungenutzter Platz wie auf dem Migros-Fleischkäse oder dem Manor-Olivenöl. Auch die von Lidl und Nestlé-Sprecher Philippe Oertlé angeführte Dreisprachigkeit ist eine Ausrede: Gemäss Lebensmittelverordnung müssen die Angaben «in mindestens einer Amtssprache abgefasst sein».