Jede Krebserkrankung ist tragisch. Sie zu verhindern, ist das oberste Ziel der Krebsvorsorge. Doch nur zwei von drei Schweizerinnen und Schweizern nehmen die kostenlosen Angebote wahr. So verhält es sich auch bei der Früherkennung des Gebärmutterhalskrebses, die beim Frauenarzt durchgeführt wird. Wie praktisch wäre es da, mit einer Impfung wie gegen Masern oder Kinderlähmung auch gegen Gebärmutterhalskrebs geschützt zu sein.
Seit Anfang des Jahres steht mit Gardasil des amerikanischfranzösischen Pharmamultis Sanofi Pasteur MSD ein solcher Krebsimpfstoff in der Schweiz zur Verfügung. Er gilt als wirksam und gut verträglich. Doch wirft er für Eltern und Frauen wichtige Fragen auf. «In der Ärzteschaft ist der Wissensstand zu diesem Thema nicht sonderlich hoch und Patientinnen erhalten dadurch zum Teil falsche Informationen», beklagt Siegfried Heinzl, Chefarzt der Frauenklinik im Basler Kantonsspital Bruderholz.
Kosten: Noch keine Übernahme durch die Krankenkasse
Das Hauptproblem des Impfstoffes ist sein hoher Preis. Rund 700 Franken kostet der Impfschutz pro Person. Er soll das Immunsystem gegen die krebsauslösenden humanen Papillomaviren (HPV) trainieren. Bezahlt werden muss die Impfung zurzeit noch von jeder Patientin selbst. Sollte das Bundesamt für Gesundheit im Juni beschliessen, dass in Zukunft die Grundversicherung für die Impfung aufkommen muss, dann entstünden nach ersten Schätzungen des Krankenkassenverbandes Santesuisse Einführungskosten von 100 Millionen Franken. «Zu viel für das, was der Impfstoff bei uns in der Schweiz leisten kann», sagt Siegfried Heinzl.
Ähnlich denkt auch Thomas Cerny, Präsident der Schweizer Krebsliga. Der Chefonkologe am St. Galler Kantonsspital ist der Meinung, dass die beschränkten finanziellen Mittel der Vorsorge dort eingesetzt werden müssten, wo sie am meisten gebraucht werden. Beispielsweise bei der Brust- und Darmkrebsvorsorge. «Von diesem Kuchen nimmt die HPV-Impfung gemessen am Nutzen relativ viel Geld weg und ersetzt davon nichts», so Cerny.
Regelmässiger Krebsabstrich bietet genügend Schutz
Denn das Risiko, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken, ist in der Schweiz relativ gering - im Gegensatz zu Entwicklungsländern. Jährlich erkranken 340 Frauen in der Schweiz, etwa 90 sterben daran. An Brustkrebs, der häufigsten und zahlenmässig tödlichsten Krebserkrankung der Frau, erkranken pro Jahr 3600 Schweizerinnen.
Die Früherkennung bei Gebärmutterhalskrebs funktioniert zurzeit im Prinzip gut, sagt Edward Wight, HPV-Experte an der Frauenklinik Basel: «Durch den alle drei Jahre stattfindenden regelmässigen Krebsabstrich können wir die Bevölkerung weitestgehend vor dem Gebärmutterhalskrebs schützen. Zumindest jene, welche die Vorsorgeangebote auch wahrnehmen.»
Die wichtige Vorsorge erspart die Impfung ohnehin nicht. «Sie hilft nur gegen die beiden HP-Virustypen 16 und 18, die zusammen für etwa 70 Prozent der Gebärmutterhalskrebsfälle verantwortlich sind», erklärt Wight.
Neuere Studien geben Hinweise darauf, dass die Impfung auch gegen andere HP-Viren schützt, gegen die der Impfstoff nicht direkt gerichtet ist und die für weitere 10 Prozent der Gebärmutterhalskrebsfälle verantwortlich sind. Daneben existieren jedoch weitere HPV-Typen, die ebenso den Krebs auslösen können.
Dauer des Impfschutzes noch zu wenig erforscht
Die Krebsvorstufen, die von diesen vom Impfstoff nicht erfassten HP-Viren verursacht werden, können nur durch den klassischen Krebsabstrich beim Frauenarzt festgestellt werden. Dabei werden Zellen des Gebärmutterhalses auf Veränderungen untersucht.
Die mit den HP-Viren infizierten Zellen durchlaufen über viele Jahre hinweg verschiedene Vorstufen, bevor letztendlich Krebs entsteht. Bei einer regelmässigen Vorsorge werden sie rechtzeitig entdeckt und können behandelt werden.
Die Impfung besitzt zudem keinerlei therapeutischen Nutzen. «Wer bereits Krebsvorstufen oder Krebs am Gebärmutterhals hat, dem hilft die Impfung gar nichts», sagt Edward Wight. Auch wenn zum Zeitpunkt der Impfung - meist unbekannterweise - bereits eine Infektion mit HPV 16 oder 18 vorliegt, bietet die Impfung für diesen HPV-Typus nachfolgend keinerlei Schutz.
Umstritten ist auch der Zeitpunkt, wann junge Frauen geimpft werden sollen. Die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) empfiehlt, alle Mädchen zwischen dem 11. und 14. Lebensjahr - also vor dem ersten Geschlechtsverkehr - zu impfen und alle Frauen bis 26 Jahre nachzuimpfen. Allerdings ist zurzeit noch nicht geklärt, wie lange der Impfschutz andauert. Sicher ist, dass die Impfung mindestens fünf Jahre lang gut gegen das Virus schützt, doch Langzeiterfahrungen fehlen.
«Die meisten HPV-Infektionen treten aber im Alter von 20 bis 24 Jahren auf - also zu einem Zeitpunkt, wo eine heute geimpfte 11-Jährige möglicherweise nicht mehr den vollen Schutz besitzt», sagt Diane Harper von der Dartmouth Medical School, die seit 20 Jahren an der Entwicklung des HPV-Impfstoffes mitgearbeitet hat. Dann müsste teuer nachgeimpft werden.
Auch Männer sind vom HP-Virus betroffen
«Neueste Studien geben aber Hinweise darauf, dass der Impfschutz möglicherweise lebenslang besteht», sagt Robert Steffen vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich und EKIF-Vizepräsident.
Zudem wird der Mann in der ganzen Diskussion vergessen. Neuste Studien weisen darauf hin, dass das HP-Virus bei Männern verantwortlich ist für die Entstehung von Peniskrebs, Enddarmkrebs und durch Oralverkehr Mundkrebs, und zwar zusammengenommen in einer Häufigkeit, die ähnlich hoch ist wie Gebärmutterhalskrebs bei der Frau. Erste Studien zur Impfung beim Mann werden 2008 abgeschlossen sein.
HP-Viren: Von Warzen bis Krebs
Die meisten Menschen infizieren sich im Laufe des Lebens mit humanen Papillomaviren (HPV). Das Virus verursacht meist harmlose Erkrankungen wie zum Beispiel Hautwarzen.
Doch etwa 30 der 100 bekannten Untertypen des Virus befallen mit Vorliebe Körperzellen der Haut und Schleimhaut im Genitalbereich, in denen sie sich unbemerkt vermehren und von dort ausbreiten. Ungeschützter Sexualverkehr ist dabei der häufigste Übertragungsweg.
Neben unangenehmen Genitalwarzen können einige Untertypen aber auch bösartige Zellveränderungen hervorrufen. Bei 95 Prozent der Infizierten schafft es das Immunsystem, das Virus binnen 6 bis 18 Monaten aus dem Körper zu entfernen. Dann kann die Person niemanden mehr anstecken. Bei etwa 5 Prozent hingegen hält sich das Virus hartnäckig und vermehrt sich immer weiter. Dadurch ist das Risiko für Krebsvorstufen und schliesslich für einen sich nach Jahren daraus entwickelnden Gebärmutterhalskrebs stark erhöht.