Zäher Kampf gegen einen Hungerlohn
Ein Werbegrafiker lässt sich von einem neu gegründeten Geschäft anstellen. Doch der Lohn kommt nur in symbolischen Häppchen. Entnervt quittiert er den Job. Erst das Gericht verhilft ihm zu einem branchenüblichen Salär.
Inhalt
saldo 12/2012
16.06.2012
Letzte Aktualisierung:
19.06.2012
Thomas Müller
Fast ein Jahr nach dem letzten Arbeitstag treffen sich der Werbegrafiker und die Firmeninhaberin wieder vor dem Kantonsgericht Glarus – er als Kläger, sie als Beklagte. Sie sind freundlich zueinander: Er sei «sehr dankbar für die Teilzahlungen» gewesen, sagt der Werbegrafiker. Und die Ex-Chefin lobt, wie er «Ordnung in das Chaos brachte», das er im Geschäft angetroffen hatte.
Doch die netten Worte bringen die Differenzen nicht zum Versc...
Fast ein Jahr nach dem letzten Arbeitstag treffen sich der Werbegrafiker und die Firmeninhaberin wieder vor dem Kantonsgericht Glarus – er als Kläger, sie als Beklagte. Sie sind freundlich zueinander: Er sei «sehr dankbar für die Teilzahlungen» gewesen, sagt der Werbegrafiker. Und die Ex-Chefin lobt, wie er «Ordnung in das Chaos brachte», das er im Geschäft angetroffen hatte.
Doch die netten Worte bringen die Differenzen nicht zum Verschwinden: 30 000 Franken fordert der Kläger von ihr, um auf einen «normalen Lohn zu kommen». Das entspräche monatlich etwa 6500 Franken brutto. Bisher hatte er nur Anzahlungen von weniger als 1500 Franken pro Monat erhalten. Die Unternehmerin hingegen will keinen Rappen zusätzlich zahlen. Sie verlangt umgekehrt vom Werbegrafiker noch Geld. Er schulde ihr 270 Franken für einen Drucker und ein Laminiergerät, die er übernommen habe, sowie für private Telefongespräche auf dem Firmenhandy.
Der Einzelrichter hebt ob dieser Gegenforderung verwundert die Augenbrauen – dem Grafiker aber platzt der Kragen: «Zuerst speist sie mich mit einem Hungerlohn ab, der vielleicht für das Futter eines Hundes ausreicht, und jetzt kommt sie mir mit derart kleinlichen Abrechnungen!»
Bei Nebensächlichkeiten mag die Ex-Chefin pingelig sein, wichtige Fragen hingegen regelte sie schludrig. Einen schriftlichen Arbeitsvertrag gab es nicht und eine klare Abmachung über die Höhe des Lohns fehlt ebenfalls. Umstritten ist überdies, ob das Arbeitsverhältnis vier oder fünf Monate dauerte. Die Arbeitgeberin bestätigte im Januar die Auflösung auf Ende Februar. Doch am selben Tag verschickte sie auch eine Bestätigung, wonach der Grafiker das Arbeitsverhältnis bereits beendet habe. Auch das Pensum bleibt nebulös. Sie habe gesagt, «zu Beginn 60 Prozent und dann schauen wir», erzählt die Geschäftsfrau dem Richter. Die Aufstellungen des Grafikers – rund 800 Stunden – ergeben hingegen ein volles Pensum während rund fünf Monaten. Seine Angaben stützen sich auf die Öffnungszeiten des Ladenlokals, das zum mittlerweile geschlossenen Geschäft gehörte.
Die Beklagte wirft dem Kläger schlechtes Wirtschaften vor
Von Unklarheiten wimmelt es auch bei den Lohnabrechnungen. Es gab zwar monatliche Lohnabrechnungen über 3500 Franken – doch nur pro forma – für die Sozialversicherungen. «Sie hat mir nicht den ganzen Betrag bezahlt», beteuert der Kläger. Er habe reklamiert und einen fairen Lohn gefordert, sagt er. Die Geschäftsfrau bestätigt das: «Er hat signalisiert, dass er eigentlich mehr brauche, doch es kamen zu wenig Aufträge rein.» Damit geht sie zum Gegenangriff über. «Es verwundert mich, dass der Fachmann mit jahrelanger Erfahrung nicht mehr herauswirtschaften konnte.»
Der Einzelrichter blockt den Versuch ab, die Schuld am schlechten Geschäftsgang dem Werbetechniker in die Schuhe zu schieben. Das sei das unternehmerische Risiko, das sie als Inhaberin allein zu tragen habe. Zudem könne nicht damit gerechnet werden, dass ein neues Geschäft schon in den ersten Monaten profitabel sei.
Ist eine gütliche Einigung möglich? Der Einzelrichter redet auch dem Kläger ins Gewissen. Er sei ein gewisses Risiko eingegangen, als er weitergearbeitet habe, obwohl der Lohn laut Abrechnung nur 3500 Franken betragen habe und nicht mal dieser Betrag voll ausbezahlt worden sei.
Erst vor dem Obergericht werden sich die Parteien einig
Der Grafiker kommt seiner Ex-Chefin in Stück weit entgegen und reduziert seine Forderung von 30 000 auf 27 500 Franken. Doch die Firmeninhaberin gibt nicht nach. «Ich wüsste nicht, wie ich das zahlen könnte», sagt sie. Sie habe selbst wieder eine Anstellung annehmen müssen, um offene Rechnungen zahlen zu können.
Rund drei Monate nach der Verhandlung liegt das schriftliche Urteil vor. Das Gericht geht davon aus, dass der Werbegrafiker mit einem Lohn von 3500 Franken monatlich für ein 60-Prozent-Pensum einverstanden gewesen sei. Weil er aber nachweislich mehr gearbeitet habe, muss ihm die Unternehmerin noch insgesamt 16 400 Franken zahlen.
Sie zieht den Fall ans Obergericht des Kantons Glarus weiter. Dort schliessen die beiden Parteien einen Vergleich: Der Grafiker reduziert seine Forderung auf 12 000 Franken, und die Geschäftsfrau verpflichtet sich, diesen Betrag ab sofort in Monatsraten von 1000 Franken abzustottern.
Prozessieren: Schriftliche Verträge sparen Aufwand
Wenn zwei sich streiten, hat vor Gericht diejenige Partei die schlechteren Karten, die von der anderen etwas will. Muss ein Angestellter vor Gericht um seinen Lohn kämpfen, muss er beweisen, wie viel er gearbeitet hat und welcher Lohn vereinbart wurde. Dieser Beweis ist schwierig zu erbringen, wenn kein schriftlicher Vertrag vorliegt und keine Zeugen etwas dazu aussagen können.
Immerhin gilt im Arbeitsrecht: Jede Tätigkeit muss entschädigt werden – auch wenn über die Höhe des Lohns zwischen den Parteien nichts abgemacht wurde. In solchen Fällen berechnen die Gerichte das geschuldete Salär aufgrund von orts- und branchenüblichen Ansätzen.