Weder Lohn noch Arbeitslosengeld
Der Inhaber einer Spenglerei kündigt einem Angestellten fristgerecht, beendet aber zwei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis vorzeitig. Der Angestellte fordert vor Gericht den ausstehenden Lohn.
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saldo 16/2012
07.10.2012
Letzte Aktualisierung:
08.10.2012
Thaïs In der Smitten
Der Inhaber einer Spenglerei und sein ehemaliger Angestellter wechseln im Wartezimmer vor dem Kreisgerichtssaal in Rorschach SG kein Wort miteinander. Der Graben scheint unüberbrückbar. Denn der ehemalige Angestellte fordert vom Ex-Arbeitgeber einen ausstehenden Monatslohn von knapp 5900 Franken und gut 1300 Franken für Überstunden. Er sagt, sein Chef habe das Arbeitsverhältnis ohne sein Einverständnis vorzeitig aufgelöst. Der Geschäftsinhaber hingegen ...
Der Inhaber einer Spenglerei und sein ehemaliger Angestellter wechseln im Wartezimmer vor dem Kreisgerichtssaal in Rorschach SG kein Wort miteinander. Der Graben scheint unüberbrückbar. Denn der ehemalige Angestellte fordert vom Ex-Arbeitgeber einen ausstehenden Monatslohn von knapp 5900 Franken und gut 1300 Franken für Überstunden. Er sagt, sein Chef habe das Arbeitsverhältnis ohne sein Einverständnis vorzeitig aufgelöst. Der Geschäftsinhaber hingegen behauptet, der Mann habe die Arbeit verweigert.
Klar ist: Der Angestellte war ab Mitte November 2009 krank. Ende November kündigte ihm sein Chef per Ende Januar 2010. Eine Entlassung im ersten Monat einer Krankheit ist aber laut Gesetz ungültig. Deshalb kündigte der Betrieb ein zweites Mal per Ende April, nachdem der Angestellte Mitte Januar wieder gesund war. Dieser arbeitete weiter bis Ende Februar und erhielt auch den Lohn dafür.
Im März erhielt er keinen Lohn mehr und meldete sich beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum RAV. Er beantragte Arbeitslosengeld. Das RAV verwies darauf, dass er noch bis Ende April bei der Spenglerei angestellt war. Dem Spengler blieb ohne Lohn und ohne Arbeitslosenentschädigung schliesslich nur der Gang aufs Sozialamt.
Chef und Angestellter widersprechen sich fundamental
An der Verhandlung vor dem Kreisgericht befragt der Einzelrichter zuerst den Chef. Dieser macht geltend, sein ehemaliger Angestellter hätte bereits per 1. März 2010 eine neue Stelle in Aussicht gehabt. Zudem sei er trotz mehrmaliger Aufforderungen nicht zur Arbeit erschienen: «Er sagte mir, für diese Firma arbeite er nicht mehr.» Aufgrund der Arbeitsverweigerung seines Mitarbeiters habe er sogar temporäre Mitarbeiter organisieren müssen.
Der Kläger widerspricht. Als er im März ins Geschäft gekommen sei, habe ihm der Chef gesagt: «Was willst du hier? Du hast hier nichts verloren. Du arbeitest hier nicht mehr.» Eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne eine neue Stelle sei für ihn aber nicht in Frage gekommen. «Ich muss ja Geld verdienen für meine Frau und meinen Sohn.»
Zur Klärung der Geschehnisse hat der Einzelrichter Zeugen vorgeladen. Zuerst erscheint die Ex-Frau des Chefs. Sie macht heute die Buchhaltung und die Lohnabrechnungen. Ihre Aussagen stimmen im Wesentlichen mit denen ihres Ex-Mannes überein. Der Einzelrichter will konkret wissen, ob man um die Jahreswende 2009/2010 temporäre Mitarbeiter angestellt habe. Die Zeugin sagt, sie könne sich nicht mehr daran erinnern.
Beide Anwälte halten Gegenpartei für unglaubwürdig
Nach den Aussagen des zweiten Zeugen, einem ehemaligen Angestellten, war damals niemand temporär angestellt. Generell gebe es im Winter weniger Arbeit.
Der Anwalt des Spenglers bezeichnet in seinem Plädoyer die Aussagen des Chefs als unglaubwürdig: «Er behauptet, temporäre Arbeiter angestellt zu haben – kann sich aber weder daran erinnern, wie viele es waren, noch von welcher Temporärfirma sie beschafft wurden.» Hingegen seien die Aussagen des Klägers glaubwürdig: Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb dieser die Arbeit hätte verweigern und auf den Lohn verzichten wollen.
Wille zur vorzeitigen Auflösung des Vertrags muss eindeutig sein
Der Anwalt des beklagten Arbeitgebers argumentiert, das Arbeitsverhältnis sei auf Wunsch des Spenglers gekündigt worden, weil er eine Stelle in Aussicht hatte. «Heute erinnert er sich selbstverständlich nicht mehr daran.» Der Anwalt hält an der Version des Chefs fest: Trotz Aufforderungen sei der Kläger nicht zur Arbeit erschienen und habe auch seine Arbeit nicht angeboten.
Das Urteil des Richters folgt schriftlich, einen Monat nach der Verhandlung von Ende August: Er spricht dem Angestellten einen Monatslohn plus Anteil 13. Monatslohn zu, insgesamt knapp 6000 Franken. Zudem 2200 Franken als Entschädigung für Anwaltskosten. Begründung: Ein Arbeitsverhältnis könne zwar vorzeitig aufgelöst werden. Jedoch müsse der Wille beider Parteien zur Auflösung eindeutig sein. Zudem müsse der Arbeitnehmer ein vernünftiges Interesse an der Aufhebung haben. Davon sei in diesem Fall nicht auszugehen.
Auflösungsvertrag: Einigung schriftlich festhalten
Die Kündigungsfristen in Verträgen gelten für beide Parteien. Fehlt ein schriftlicher Vertrag, gilt für Arbeitsverhältnisse die im Gesetz geregelte Kündigungsfrist. Nach Ablauf der Probezeit beträgt sie einen Monat. Anschliessend je nach Dauer des Arbeitsverhältnisses bis zu drei Monaten.
Diese Fristen sind aber nicht in Stein gemeisselt. Sind sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig, müssen sie die vereinbarten oder die gesetzlichen Kündigungsfristen und Termine nicht einhalten und können sich beispielsweise von einem Tag auf den andern trennen. In der Regel wird ein solcher Auflösungsvertrag schriftlich festgehalten. Denn mündliche Einigungen sind später kaum beweisbar und bergen das Risiko von gerichtlichen Auseinandersetzungen.