Wer die Hauptpost Winterthur betritt, muss sich zuerst durch einen Schilderwald kämpfen: «Neues Jahr, neues Handy», steht da zu lesen. Oder: «Swisslos – bis Samstag mit Gratis-Tipp.» Ein anderes Schild verkündet: «Alles Wichtige gibt’s auf der Post.» Richtig wäre: In den Poststellen gibt es mittlerweile ein riesiges Warenangebot. Doch bei der Wichtigkeit gibt es ein grosses Fragezeichen.

Papeterieartikel wie Couverts, Papier, Stifte oder Klebeband in einer Post anzubieten, macht allenfalls noch Sinn. Aber die meisten Waren haben mit den Dienstleistungen der Post nichts zu tun: In den Regalen finden sich Reiseführer, Zahnbürsten, Handschuhe, Energiesparlampen, Badekugeln, Spielsachen, Bücher, DVDs, Computergames, Schmuck und Uhren sowie Warnwesten für Autofahrer.

Damit nicht genug. Einen Schwerpunkt setzt die Post bei Elektronikartikeln: Zum Sortiment gehören Notebooks, Kopfhörer, zig verschiedene Tintenpatronen und Handys aller grossen Telekomunternehmen, die samt Abovertrag verkauft werden.


Die Post verkauft auch Hausrat- und Autoversicherungen

Was nicht in der Poststelle sofort verfügbar ist, lässt sich über Postshop.ch bestellen. Laut eigenen Angaben der Post umfasst das Gesamtsortiment über zwei Millionen Artikel. Aber aufgepasst: Die Preise sind gesalzen. Gemäss einem kürzlich durchgeführten Preisvergleich des Westschweizer Konsumentenmagazins «Bon à Savoir» zahlen Käufer bei der Post zum Beispiel für ­einen Staubsauger 49,6 Prozent mehr als bei anderen Internetläden.

In der Winterthurer Hauptpost zieht man nach dem Betreten der Schalterhalle beim Automaten eine Nummer und wartet, bis die entsprechende Zahl oberhalb eines Schalters aufleuchtet. Das kann dauern. So macht die Post aus dem schlechten Service und der langen Wartezeit noch ein Geschäft: Postkunden sollen sich die Zeit mit Shopping verkürzen.

Wer endlich an die Reihe kommt, um seine Postgeschäfte zu erledigen, darf vor einen Schalter treten, der von Abfallsäcken und Süssigkeiten flankiert ist. Letztere perfekt auf Kinderhöhe platziert. Und womöglich will die Angestellte als Erstes wissen, ob man eine Autobahnvignette oder eine neue Versicherung brauche.

Kein Witz: Für die Axa Winterthur vermittelt die Post Sachversicherungen in den Bereichen Haftpflicht, Hausrat, Auto, Reisen und Rechtsschutz. Dafür kassiert sie Provisionen. Wie viel, sagt die Post nicht.


Schalterangestellte sind mit dem grossen Sortiment überfordert

Am Schalter werden auch Konzerttickets verkauft. Besonders in kleinen Poststellen ist es für Wartende, die lediglich einen eingeschriebenen Brief aufgeben möchten, ein Ärgernis, wenn sich der Vordermann partout nicht entscheiden kann, welche Sitzkategorie er wählen soll.

Laut Geschäftsbericht 2011 hat die Post mit nicht postalischen Artikeln einen Umsatz von 495 Millionen Franken erreicht – 14 Millionen mehr als im Vorjahr. In Sachen Gewinn, der damit erzielt wurde, ist Post-Mediensprecher Bernhard Bürki nicht gesprächig. Auch diverse weitere Fragen, die saldo zu Produkten gestellt hat, bleiben unbeantwortet.

Kein Wunder: Der Preis für den Gemischtwarenladen der Post ist hoch, der Gewinn höchstens gering. Die Post muss nämlich einen enormen Aufwand betreiben, um ein derart grosses und uneinheitliches Sortiment von Waren zu bewirtschaften. Die Schalterangestellten sind schlicht überfordert, wenn sie von Elektronikartikeln über Reisen bis zu Versicherungen Bescheid wissen müssten.

Dafür können sie auf die wirklichen Bedürfnisse ihrer Kundschaft nicht mehr eingehen: Die Poststellen sind meist dann geöffnet, wenn pendelnde Erwerbstätige sie nicht benutzen können. Und immer öfter ist es nicht mehr möglich, am Postschalter Bareinzahlungen zu tätigen.


Das meinen Postkunden: «Die Post soll sich aufs Postgeschäft beschränken»

Die Post behauptet, das Verkaufsangebot an Waren in den Poststellen entspreche einem Kundenbedürfnis. Stimmt das? saldo hat vor der Hauptpost Winterthur im Rahmen einer Stichprobe Postkunden befragt: «Diese Artikel interessieren mich nicht. Aber solange ich nicht direkt belästigt werde, ist es mir egal», sagt der 50-jährige André Fehlmann. Vielen Befragten geht es ähnlich: Sie nehmen die Waren gar nicht wahr und haben auch noch nie solche Artikel in einer Poststelle gekauft. Eine 49-jährige Winterthurerin sieht im postfremden Warenangebot immerhin einen Vorteil: «Wenn man länger warten muss, hat man etwas zum Anschauen.»

Für viele Befragte ist der Gemischtwarenladen Post allerdings ein grosses Ärgernis: «Das ist eine Schweinerei», empört sich die 55-jährige Doris Müller, «vor lauter Artikeln ist kaum ein Durchkommen. Die Post soll sich aufs Postgeschäft beschränken und den Verkauf von postfremden Artikeln Läden überlassen, die darauf spezialisiert sind.»

Der 81-jährige Markus Schweiger würde sich nicht wundern, wenn die Post bald auch Sandwiches verkauft. Die Entwicklung hin zum Allesverkäufer stört ihn, weil dadurch viele kleine Läden eingehen. Eine betagte Dame hat auch Mitleid mit den Schalterangestellten, welche die Kunden auf Produkte und Aktionen aufmerksam machen müssen. Ihre Tochter arbeite bei der Post und habe schon oft geklagt.

Immerhin, saldo fand auch eine Person, die auf der Post gelegentlich einkauft: Julia Herrmann schätzt besonders die  Papeterieartikel. Andere Artikel kauft die 33-Jährige aber dort kaum ein.