«Viele Firmen wollen gar nicht, dass man ungünstige Vertragsbedingungen liest»
Vertragsbedingungen sind ungültig, wenn sie zu klein gedruckt sind. So hat ein Gericht in Österreich entschieden. Schweizer Rechtsprofessoren bestätigen: In der Schweiz ist die Rechtslage gleich.
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saldo 03/2010
14.02.2010
Letzte Aktualisierung:
16.02.2010
Eric Breitinger
Vorsicht vor ausführlichen vorgedruckten Vertragsformularen: Sie sind in der Regel für Kunden nur nachteilig. Denn ohne solche Allgemeinen Vertragsbedingungen (AGB) würde das Gesetz gelten. Und das Gesetz verteilt die Rechte und Pflichten zwischen den Parteien etwa eines Kaufvertrages relativ fair.
Umso stossender, wenn die AGBs mit den für Kunden nachteiligen Klauseln so verfasst und gedruckt sind, dass sie kaum lesbar sind. Ein Lichtblick: Vor kurzem hat das H...
Vorsicht vor ausführlichen vorgedruckten Vertragsformularen: Sie sind in der Regel für Kunden nur nachteilig. Denn ohne solche Allgemeinen Vertragsbedingungen (AGB) würde das Gesetz gelten. Und das Gesetz verteilt die Rechte und Pflichten zwischen den Parteien etwa eines Kaufvertrages relativ fair.
Umso stossender, wenn die AGBs mit den für Kunden nachteiligen Klauseln so verfasst und gedruckt sind, dass sie kaum lesbar sind. Ein Lichtblick: Vor kurzem hat das Handelsgericht Wien ein auch für die Schweiz bedeutsames Urteil gefällt. Streitpunkt war die Grösse der Schrift.
Der konkrete Fall: Eine Mobilfunkfirma verlangte von Neukunden ein einmaliges «Aktivierungsentgelt» von 75 Franken. Die Firma versteckte diese Forderung in ihren AGBs, die in einer Schriftgrösse von 5,5 Punkt abgefasst waren – das sind rund 1 Millimeter Schrifthöhe (siehe Abbildungen im pdf-Artikel).
Dagegen wehrten sich eine Kundin und der Verein für Konsumenteninformation – mit Erfolg. Das Gericht erklärte die Vertragsklauseln der Mobilfunkfirma für unwirksam und verpflichtete sie dazu, keine so winzig gedruckten AGBs mehr an Kunden auszuhändigen. Begründung: Die AGBs sind mit «einer Schriftgrösse von nur 6 Punkt oder weniger» unlesbar.
Firmen verweisen auf ihre Vertragsbedingungen im Internet
Auch Schweizer Unternehmen schikanieren die Kunden in ihren AGBs mit Kleinstschriften. So sind etwa die Vertragsklauseln der Coop-Kreditkarte in einer 5,5-Punkt-Schrift verfasst. Kleinste Schriftgrössen verwenden auch die Frachtfirma UPS, die Kreditkartenherausgeberin Swisscard und TNT Swiss Post in Frachtbriefen. 6 Punkt klein ist die Schrift der AGBs von Cornèrcard.
Wenig grösser ist sie in den AGBs, die Orange-Kunden erhalten (6,7 Punkt). Auf Anfrage rechtfertigen die Unternehmen die Minischriften mit dem angeblichen Platzmangel auf ihren Faltblättern und verweisen auf ihre Websites, wo alle Verträge gut lesbar bereitstünden.
Ebenfalls unzumutbar: Enger Zeilenabstand und schwacher Farbkontrast
Der Berner Rechtsprofessor Thomas Koller vermutet beim Gebrauch kleiner Schriften aber oft ein Kalkül: «Viele Firmen wollen gar nicht, dass Kunden die für sie ungünstigen Vertragsbedingungen lesen.» Und Vito Roberto, Professor an der Universität St. Gallen, hält fest: «Wenn Unternehmen in ihren AGBs nichts Unzumutbares für ihre Kunden schreiben, gibt es auch keinen Grund, diese durch Kleinstschriften möglichst unleserlich zu gestalten.»
Gesetzesvorschriften für AGBs existieren in der Schweiz nicht. Auch gibt es kein entsprechendes Gerichtsurteil. Die von saldo befragten Rechtsexperten sind sich jedoch einig: «Ein Schweizer Gericht würde bei einem längeren AGB-Text in dieser Schriftgrösse nicht anders entscheiden», sagt der Basler Rechtsprofessor Peter Jung. Das Schweizer Recht schreibt laut Jung nämlich vor, dass die AGBs nur wirksamer Teil des Vertrags werden, wenn sie vom Kunden «zumutbar zur Kenntnis genommen werden konnten».
Nebst der Schriftgrösse können weitere Faktoren AGBs unleserlich machen: etwa ein zu enger Zeilenabstand oder schwache Kontraste. Unzumutbar können AGBs auch wegen der Sprache sein oder weil der Kunde sie nur unter Zeitdruck lesen kann.
Juristen sind sich über die Unzumutbarkeit der Minischriften einig
saldo hat mehreren Rechtsexperten AGBs in Kleinstschrift vorgelegt. Arnold Rusch, Lehrbeauftragter an der Uni Zürich, bewertet die AGBs auf der Rückseite des TNT-Lieferscheins als «unzumutbar»: Das Druckbild sei schwach, die Vorderseite schimmere durch, die AGBs enthielten zudem eine unglaubliche Fülle an Infos auf Englisch. Die Coop-AGBs fallen ebenfalls durch bei ihm: «Das ist ein eng bedruckter, kaum strukturierter Mammutvertrag.»
Auch in den Augen von Vito Roberto sind beide AGBs in Minischrift für «die meisten Konsumenten nicht in zumutbarer Weise lesbar». Eine 5,5-Punkt-Schrift hält Thomas Koller «allgemein für zu klein». Sein Kollege Jung sieht es genauso: «Bei längeren Texten, am Bildschirm und gegenüber Älteren sind diese Schriftgrössen unzumutbar.»
Einig sind sich die Experten bei den Konsequenzen: «Kann der Kunde die AGBs nicht entziffern, gehören sie nicht zum Vertragsinhalt», sagt Koller. Im Streitfall könne man darauf pochen, dass die AGBs nicht gelten.