Bern Hauptbahnhof, 14.15 Uhr: Auf Gleis 1 fährt der Regionalzug S 1 ein. Informatikspezialist Adrian Mäder zückt sein Smartphone, öffnet die neue Billett-App der Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn (BLS), drückt auf den Startknopf und steigt in den Zug. Das System erkennt den Abfahrtsort automatisch. Die App funktioniert über den Ortungsdienst des Handys und ist mit dem Fahrplan verbunden.     

Unterwegs wird auf dem Display jeweils die aktuelle Station angezeigt. Der Ortungsdienst greift auf GPS, öffentliche WLAN-Router und das Mobilfunknetz zurück. Alle paar Minuten sendet die App ein kleines Datenpaket an einen Server der BLS mit den neusten Posi­tionsdaten. 

Die Billett-App der BLS be­findet sich im Versuchsstadium. Seit Anfang Februar wird sie von gut 100 Leuten getestet – je hälftig BLS-Angestellte und Kunden. 

Die App ist eine Eigenentwicklung der BLS. Adrian Mäder ist Projektleiter. Er räumt ein, dass die App Kinderkrankheiten aufweist. Das System hätte zum Beispiel Probleme, eine Haltestelle korrekt zu erkennen, wenn mehrere Stationen zu nahe beieinanderliegen. 

Beim Bahnhof Niederwangen verlässt Mäder den Zug und steigt in den Bus 29. Die App ermöglicht nicht nur das Reisen in den Zügen der BLS, sondern in allen Verkehrsmitteln des Libero-Tarifverbundes. Dieser Verbund umfasst die Region Bern–Solothurn–Biel. 

Die App ist vor allem für gelegentliche Benutzer des öffentlichen Verkehrs ein Fortschritt. Sie können damit Bahn oder Bus fahren, ohne vorher am Schalter anzustehen oder sich mit Billettautomaten, Tarifen und Zonenplänen herumschlagen zu müssen. «Mit unserer App können alle Reisenden den Komfort eines General­abos geniessen», sagt Mäder. 

Bei der Stadtberner Busstation Gurtenbahn legt Adrian Mäder einen Zwischenstopp ein. Er drückt auf den Button «Reise beenden». Sogleich zeigt ihm die App den bisherigen Reiseverlauf und die provisorischen Kosten an. Die App erlaubt es, beliebig oft umzusteigen und Zwischenhalte einzulegen. 

Ist dieses System nicht anfällig für Missbrauch, indem erst beim Auftauchen eines Kontrolleurs der «Start»-Button gedrückt wird? Mäder winkt ab: Schwarzfahren sei schwierig, weil eine Uhr mitläuft. Der Kontrolleur sieht sofort, wenn die App erst 10 Sekunden vorher gestartet wurde. 

Definitive Rechnung wird am Ende des Tages ausgestellt

Zum Schluss setzt sich ­Mäder ins Tram Nummer 9 und fährt zum Hauptbahnhof Bern zurück. Erneut beendet er die Reise, die App berechnet den günstigsten Preis: Die ganze Fahrt mit den drei Verkehrsmitteln dauerte weniger als eine Stunde, deshalb kostet sie nur den entsprechenden Fixtarif für zwei Zonen von Fr. 2.80 (mit Halbtaxabonnement). Die definitive Rechnung wird erst am Ende des Tages ausgestellt. Mäder könnte seine Reise ja noch fortsetzen. Abgerechnet wird via Kreditkarte. 

Der Pilotversuch läuft bis Mitte März. Falls die zwölf Transportunternehmen des Libero-Verbundes sich einig sind, könnte die App laut ­Adrian Mäder «in weniger als einem Jahr» eingeführt werden. Ebenfalls denkbar wäre es, die App – analog zum Generalabonnement – auf die ganze Schweiz auszuweiten.

App der BLS ist zukunftstauglicher als der Swisspass

Auch die SBB und der Verband öffentlicher Verkehr (VÖV) streben ein elektronisches Ticketsystem an. Ein erster Schritt in diese Richtung ist der im letzten Sommer lancierte Swisspass. Dieser besitzt einen Chip, der die Einführung eines berührungslosen Erfassungs- und Zahlsystems ermöglichen würde. Dieses sogenannte Bibo-System (für «be in, be out») setzt voraus, dass alle ­öffentlichen Verkehrsmittel mit Sensoren ausgerüstet sind. Nur so können die Fahrstrecken der Reisenden beim Ein- und Aussteigen registriert werden. Mit der Einführung ist laut Jean­nine Pilloud, Leiterin SBB-Personenverkehr, nicht vor dem Jahr 2024 zu rechnen (saldo 19/13). 

Die Billett-App der BLS wäre rasch realisierbar und auch viel günstiger. Die teure Ausrüstung von Zügen, Bussen und Trams mit Sensoren würde wegfallen. Mit dem Smartphone trägt der Kunde die für den Systemwechsel erforderliche Hardware bereits in der Tasche. 

Der VÖV begrüsst den Versuch der BLS: «Einfache Handylösungen beim Billettkauf können  die richtigen Schritte sein zu ­einem einfachen und kundenfreundlichen Ticketing.» 

«Daten werden nicht weitergegeben»

Möglich ist das Erfassen der Bahn- und Busfahrten mit der neuen BLS-App nur, wenn die Reisenden Daten von sich preisgeben. Die Ortungsdienste des Smartphones liefern während der Reise ständig kleine Datenpakete an das Transportunternehmen. Damit kann dieses ein Bewegungsprofil des Nutzers erstellen.

Adrian Mäder, Projektleiter der BLS-App, steht mit dem eidgenössischen Datenschützer in Kontakt. Es sei noch offen, wie der Datenschutz bei einer ­allfälligen Einführung der App genau geregelt werde. Unklar ist vor allem, wie lange die erhobenen Daten gespeichert werden. Die Fahrgäste müssen die Möglichkeit haben, bei falsch berechneten Billetts zu reklamieren. Deshalb müssen die Reisedaten eine gewisse Zeit aufbewahrt werden. Klar ist:  Die Daten werden nicht an Dritte weitergegeben. Die BLS kann sich aber vorstellen, die Daten für Frequenzerhebungen zu verwenden. So könnten die Erträge des Libero-Verkehrsverbundes auf die einzelnen Transportunternehmen verteilt werden. 

Wer keine Routendaten preisgeben möchte, kann seine Billette auch künftig am Schalter oder Automaten lösen. Die Verwendung der BLS-App wird – im Gegensatz zum Swisspass – freiwillig sein. 

Die Freiwilligkeit sei wichtig, betont auch der eidgenössische Datenschützer auf Anfrage von saldo. Zudem müsse klar festgelegt und für den Nutzer erkennbar sein, welche Daten gesammelt, wie lange sie aufbewahrt und wofür sie verwendet werden. Für die Bearbeitung besonders schützenswerter Daten sei die ausdrückliche Einwilligung der App-Benutzer einzuholen.