Riskante Investition in eine Blackbox
Privatanleger haben die Zertifikate entdeckt. Sie investieren riesige Summen - oft ohne zu wissen, wie diese Anlageinstrumente eigentlich funktionieren. Das ist riskant.
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K-Geld 1/2006
01.02.2006
Martin Vetterli
Keine andere Anlageform hat in den letzten Jahren solche Zuwachsraten verbucht wie die Zertifikate.
Zertifikate sind wie Obligationen rechtlich gesehen Schuldverschreibungen. Sie werden von Banken ausgegeben. Im Unterschied zu Oblis gibt es in der Regel aber weder einen Festzins, noch ist der Rückzahlungsbetrag am Ende der Laufzeit festgelegt.
Der Wert eines Zertifikats hängt von den Zertifikatsbedingungen und der Entwicklung des Basiswerts ab, auf den sich das Ze...
Keine andere Anlageform hat in den letzten Jahren solche Zuwachsraten verbucht wie die Zertifikate.
Zertifikate sind wie Obligationen rechtlich gesehen Schuldverschreibungen. Sie werden von Banken ausgegeben. Im Unterschied zu Oblis gibt es in der Regel aber weder einen Festzins, noch ist der Rückzahlungsbetrag am Ende der Laufzeit festgelegt.
Der Wert eines Zertifikats hängt von den Zertifikatsbedingungen und der Entwicklung des Basiswerts ab, auf den sich das Zertifikat bezieht. Das kann beispielsweise eine Einzelaktie, ein Index oder ein Rohstoff sein.
2004 wuchs diese Anlageklasse in Deutschland gemäss Schätzungen um rund 40 Prozent, letztes Jahr sollen es gar 50 Prozent gewesen sein.
Unterdessen haben deutsche Investoren 75 Milliarden Euro in Zertifikate angelegt. Das ist bereits ein Siebtel des in Anlagefonds investierten Betrages.
Für die Schweiz fehlen Zahlen. Experten rechnen mit einem mittelfristigen Wachstum von 15 bis 20 Prozent pro Jahr.
Solche Zuwachsraten sind nur möglich, weil die lange als Zockerpapiere verschrienen Zertifikate einer Renovation unterzogen wurden. Vor allem mit der relativ jungen Gruppe der Kapitalschutz- Zertifikate haben die Banken den Wunsch vieler Investoren getroffen. Welcher Investor möchte nicht sein Kapital schützen?
Doch Kapitalschutz-Produkte sind längst nicht die einzigen Zertifikate. Die Vielfalt der rund 20 000 Papiere kennt kaum Grenzen. So kann man auf den Aluminiumpreis, exotische Aktienindizes, Frühstücksrohstoffe oder Schweinebäuche setzen.
Für Vorsichtige gibts die erwähnten Kapitalschutzprodukte, für Gebührensparer Indexpapiere, für Zocker Hebelzertifikate und für Schnäppchenjäger Discount-Zertifikate.
Egal ob die Kurse steigen, fallen oder an Ort treten, für jedes Szenario gibt es das entsprechende Papier. Die einen werden an der Börse gehandelt, die anderen nicht.
Bei aller Vielfalt werden Kapitalschutz-Zertifikate aber eindeutig am meisten nachgefragt. Gemäss Schätzungen des deutschen Derivate-Forums machen sie knapp die Hälfte des Marktes aus. Der Mechanismus von Kapitalschutz-Zertifikaten lässt sich veranschaulichen am börsengehandelten Zertifikat Vontobel Units auf den SMI, Kapitalschutz 95 %, kurz Vuchi.
Basiswert
Jedes Zertifikat hängt von einem Basiswert ab. Beim Vuchi ist dies der Swiss Market Index (SMI), der die grössten 27 Schweizer Aktien umfasst. Der Anleger profitiert in begrenztem Mass von einer positiven Entwicklung des SMI. Bei einer negativen Entwicklung des SMI erhält der Anleger 95 Prozent seiner Investition zurück.
Begrenzte Laufzeit
Die meisten Zertifikate haben eine Laufzeit von einem bis fünf Jahren. Der Vuchi ist auf fünf Jahre angelegt, er läuft am 19. Juni 2009 aus.
Mehr Sicherheit ...
Die Kapitalversicherung gilt immer nur für den Ausgabepreis des Zertifikats. Kursavancen während der Laufzeit sind nicht versichert. Der Schutz wird erst am Ende der Laufzeit wirksam, bei einem vorzeitigen Verkauf ist die Anlage nicht geschützt.
Der Vuchi verfügt über einen 95-prozentigen Kapitalschutz. Das Zertifikat wurde im Juni 2004 für Fr. 568.15 herausgegeben und ist im Juni 2009 mindestens 95 Prozent davon oder Fr. 539.74 wert.
... aber weniger Rendite
Je besser der Schutz, desto weniger Renditechancen. Beim Vuchi liegt der maximale Gewinn gegenüber dem Ausgabepreis bei 24 Prozent. Das entspricht einem Stand des SMI von 7329 Punkten am Ende der Laufzeit. Der Anleger erhält im Juni 2009 maximal Fr. 704.50 - auch wenn der SMI dann bei 8000 oder 9000 Punkten steht.
Der Vuchi ist ein Zertifikat, das an der Börse gehandelt wird. Anfang Januar war er für Fr. 614.- zu haben. Wer damals einen Vuchi gekauft hat, erzielt im Juni 2009 eine Rendite von 14,7 Prozent, sofern der SMI dann bei mindestens 7329 Punkten steht. Das maximale Verlustrisiko liegt bei 12,1 Prozent, falls der SMI bei Ende der Laufzeit unter 6442 Punkten notieren wird.
Nicht alle Kapitalschutz-Produkte verfügen aber über einen unbedingten Kapitalschutz. Bei vielen entfällt diese Sicherheit, sofern der Basiswert unter einen bestimmten Wert fällt.
Ein eigenartiges Schutzverständnis: Kleinere Verluste sind abgesichert, Grossverluste nicht. Eine genaue Prüfung des Schutzes ist daher unabdingbar.
Einer genaueren Betrachtung sollte man auch die Gebühren von Zertifikaten unterziehen. Das ist jedoch nicht immer einfach. Die Banken kassieren einerseits Kauf- und Verkaufsspesen, Verwaltungsgebühren und - sofern man ein Zertifikat an der Börse kauft - den Kursunterschied bei An- und Verkauf, den so genannten Spread.
Anderseits behält die Bank in der Regel die Dividenden zurück, die auf den Basistiteln ausbezahlt werden. Das schmälert die Rendite schnell um weitere 1 bis 2 Prozent pro Jahr.
Aber nicht alle Zertifikate sind Gebührenfresser. Indexzertifikate zum Beispiel sind günstiger als Indexfonds oder Indexaktien (ETF) und vor allem als herkömmliche Fonds. Als Faustregel gilt: Je komplizierter das Papier, desto höher sind die Spesen.
Das Zertifikate-Einmaleins
Vor dem Kauf eines Zertifikats sollte man folgende Fragen klären:
- Wie funktioniert das Zertifikat und wie reagiert es auf unterschiedliche Marktentwicklungen?
- Welche Risiken gehe ich ein?
- Was kann ich tun, wenn meine Prognose nicht zutrifft? Unter welchen Bedingungen kann ich das Zertifikat vorzeitig verkaufen? Wer ein börsengehandeltes Zertifikat in Krisensituationen vorzeitig verkaufen will, muss allenfalls starke Einbussen in Kauf nehmen. Nicht börsengehandelte Zertifikate können vor Ende der Laufzeit oft nur sehr schwer verkauft werden.
- Wie seriös ist der Herausgeber des Zertifikats? Zertifikate sind rechtlich Schuldverschreibungen. Anders als bei Fonds trägt der Anleger das Insolvenzrisiko des Herausgebers.
Fazit: Vor allem kompliziert aufgebaute Papiere taugen nur für erfahrene Anleger, die Renditechancen und damit verbundene Risiken gegeneinander abwägen können. Kaufen sollte nur, wer den Mechanismus des Zertifikats von A bis Z versteht.
Licht in den Zertifikate-Dschungel
Der Wildwuchs ist enorm. Jede Bank hat ihr eigenes System, jede verwendet unterschiedliche Begriffe. Vergleiche zwischen ähnlichen Zertifikaten sind kaum möglich. Zudem gibt es unzählige Mischvarianten.
Grob lassen sich Zertifikate drei Kategorien zuordnen:
Kapitalschutz
Einerseits sichert man sich gegen Verluste ab, anderseits verzichtet man auf einen Teil der Rendite. Vorsicht: Der Schutz gilt erst am Ende der Laufzeit und nur für den Nominalbetrag, zu dem das Zertifikat herausgegeben wurde.
Obligation plus
Ein grosser Obliteil wird mit einem Aktien- oder Optionenkorb aufgepeppt. Vorsicht: Unterschreitet der Basistitel ein bestimmtes Kursniveau, entfällt die Absicherung. Dies ist der Preis für die verbesserten Renditechancen.
Mehr Rendite
Dabei handelt es sich um Papiere, die meist ein eng umrissenes Anlagethema umfassen wie Rohstoffe und europäische Finanzaktien. Sie enthalten oft einen gewissen Anteil an Optionen, um die Renditechancen gegenüber Aktienprodukten zu verbessern.