Per Youtube Geld eingefordert
Einem Computerfachmann platzt der Kragen, weil sich die Überweisung des Honorars für seine Arbeit immer wieder verzögert. Mit einem Video auf Youtube macht er seinem Ärger Luft. Damit handelt er sich eine Klage ein.
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saldo 07/2013
17.04.2013
Thomas Müller
Die Empörung ist dem IT-Fachmann ins Gesicht geschrieben. «Über sechs Monate musste ich auf eine Entschädigung für meine Arbeit warten», wendet er sich an den Einzelrichter des Regionalgerichts in Bern. «Da habe ich mich wehren müssen.»
Die Gegenseite gibt sich unbeeindruckt. Eine Berner Rechtsanwältin vertritt die deutsche Temporärfirma, die den Berner Computerexperten beauftragt hat. An der verspäteten Überweisu...
Die Empörung ist dem IT-Fachmann ins Gesicht geschrieben. «Über sechs Monate musste ich auf eine Entschädigung für meine Arbeit warten», wendet er sich an den Einzelrichter des Regionalgerichts in Bern. «Da habe ich mich wehren müssen.»
Die Gegenseite gibt sich unbeeindruckt. Eine Berner Rechtsanwältin vertritt die deutsche Temporärfirma, die den Berner Computerexperten beauftragt hat. An der verspäteten Überweisung sei er selbst schuld. Denn seine ursprüngliche Rechnung sei fehlerhaft gewesen.
Streitgegenstand ist aber nicht das ausgebliebene Honorar, sondern ein auf Youtube publizierter Videofilm des Berners. Darin erzählt der 63-Jährige, wie das deutsche Unternehmen mit ihm umsprang: «Diese Temporärfirma hat mich für eine Aufgabe in Berlin bei einem ihrer Kunden angestellt. Nachher wollte sie meine Arbeit nicht bezahlen.»
Im Video nennt der Berner das deutsche Unternehmen und den Berliner Kunden beim Namen und prangert die Ausbeutung billiger, häufig ausländischer Arbeitskräfte auf dem IT-Markt an. Das Video ruft andere dazu auf, sich ebenfalls mit Social Media gegen diese verbreitete Praxis zu wehren. Rechtlich vorzugehen koste den Einzelnen viel Zeit und Energie und beschere teure Anwaltsrechnungen. «Wenn aber auf die Youtube- und Facebook-Beiträge viele Reaktionen und Kommentare eingehen, überlegen es sich diese Unternehmen doppelt, bevor sie die nächste Person ausbeuten», kommentiert der Beklagte im Youtube-Beitrag.
Deshalb reichte die deutsche Temporärfirma gegen den Schweizer Klage wegen Persönlichkeitsverletzung ein. Sie verlangt, das Video sei innert drei Tagen aus Youtube zu entfernen. Zudem drohte sie mit einer Forderung auf bis zu 30 000 Franken Schadenersatz, obwohl der Film im Internet nur gut 300 Mal angeklickt worden war. Das Gericht ordnete als vorsorgliche Massnahme die Entfernung des Videos an.
Der Kläger will nicht über das Video, sondern über den Lohn reden
«Ich habe nun die Namen der beiden Unternehmen aus dem Video entfernt, es gibt also gar keinen Schaden», wehrt sich der IT-Fachmann und kommt auf den für ihn springenden Punkt zu sprechen. Er kämpfe um die Einhaltung seines Vertrags, denn er habe noch den Lohn während der Kündigungsfrist zugut. «Ich bin nach Berlin umgezogen und musste eine Wohnung organisieren, blieb aber auf den Kosten sitzen», sagt er. Die Firma habe seinen Einsatz vorzeitig beendet. Die erkrankte Person, die er ersetzt habe, sei nämlich rascher als erwartet genesen und an den Arbeitsplatz zurückgekehrt.
Die Rechtsanwältin der Temporärfirma bestreitet, dass es sich um einen Arbeitsvertrag gehandelt habe: «Es bestand kein Arbeitsverhältnis, sondern ein Projektvertrag.» Der Beklagte kann damit nichts anfangen: Es sei doch schwarz auf weiss festgehalten, dass der Vertrag nur «unter Einhaltung einer Frist von vier Wochen zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden» könne.
Der Einzelrichter versucht, die Sache zu vereinfachen: «In diesem Gerichtsverfahren geht es nur um das Youtube-Video.» Es stehe nicht zur Debatte, ob für die geleistete Arbeit noch etwas geschuldet sei. «Es ist ein deutscher Vertrag, der nach deutschem Recht in Berlin geschlossen wurde», sagt er zum IT-Fachmann. «Über Ansprüche, die Sie daraus ableiten, kann ich nicht befinden. Da müssten sie in Deutschland gegen die Klägerin vorgehen.»
Richter schlichtet den Streit erfolgreich mit einem Vergleich
Ein Blick in diesen sogenannten «Projektvertrag für freiberufliche oder gewerbliche Subunternehmer» zeigt, dass die Chancen dafür nicht besonders gut stehen. Wohl werden geleistete Arbeitsstunden mit 65 Euro (knapp 80 Franken) entschädigt. Doch damit hat es sich. Wer diesen Vertrag unterschreibt, muss zum Bespiel die Beiträge für Altersvorsorge selbst übernehmen und trägt auch das unternehmerische Risiko. Ein Mindestvolumen an Arbeitsstunden ist nicht garantiert.
Der Richter schlägt erfolgreich einen Vergleich vor. Beide Parteien wollen unnötige Kosten vermeiden. Der Berner Computerfachmann verpflichtet sich, Angriffe gegen die Temporärfirma und ihren Berliner Kunden zu unterlassen. Im Gegenzug übernimmt die deutsche Firma die Gerichtsgebühren und trägt ihre Anwaltskosten selbst.
Prozessieren: Internationale Sachverhalte sind kompliziert
Ein Schweizer schliesst in Berlin einen Vertrag ab. Das ist schnell und einfach erledigt. Doch wenn es später zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommt, wird die Sache kompliziert. Es stellen sich zwei wichtige Fragen: Bei welchem Gericht ist die Klage einzureichen? Und welches Recht gilt?
Grundsätzlich ist es möglich, dass ein Gericht in der Schweiz für die Klage zuständig ist – und schweizerisches oder deutsches Recht anwendet. Oder es entscheidet ein deutsches Gericht gestützt auf schweizerisches oder deutsches Recht.
Was gilt, hängt von den Gesetzen der beiden Staaten ab. Und vom Inhalt des Vertrags. Für Laien gibts nur eins: Bei internationalen Sachverhalten vor einer Klage zuerst zum Anwalt.