Ein Lehrer, der sparen muss, wählt vermehrt den Autobus. Sei es für die Schulreise aufs Rütli, für den Ausflug ins Technorama Winterthur ZH oder zum Abschlusslager ins Tessin: Die Schulklassen reisen mit dem Car. Auf Autobus-Schulreise gingen in den letzten Jahren zum Beispiel die Primarschule Lengnau AG, die Sekundarschule Müllheim TG, die Oberstufe Engelberg OW oder das Kollegium St. Michael Zug.

Schulleiter Frank Müller von der Oberstufe Dulliken SO sagt, eigentlich würden er und seine Lehrerkollegen lieber den Zug nehmen. Aber der Car sei oft günstiger – etwa wenn die Schüler von Dulliken nach Winterthur ins Technorama reisten. Bei einem Schullager mit 95 Kindern hätte das SBB-Kollektivbillett sogar 1000 Franken mehr gekostet, sagt Müller. Die Car­unternehmen seien auch ­flexibler: Falle ein Ausflug an einem Montag wegen schlechten Wetters ins Wasser, könne er dem Carunternehmen am Sonntag absagen. Die SBB bräuchten die Absage am Freitag.

Baselbieter Regierung gegen Verbot von Schulreisen per Car

In der Schule Aarwangen BE holen die Lehrer für Landschulwochen und Ski­lager stets Offerten der SBB und der lokalen Carfirmen ein, wie Schulleiter Ueli Herren sagt. Man entscheide sich, aus Kostengründen und weil es bequemer sei, mehrheitlich für den Car.

Klassenfahrten mit dem Car sind in Mode. Die Baselbieter Grünen wollten vor einigen Jahren gar den Schulen die Carfahrten verbieten. Der Regierungsrat sagte Nein. Sein Argument: Die Schulen müssten ihre knappen Budgets einhalten.

Die Zahl der SBB-Gruppenfahrten stürzte vergangenes Jahr regelrecht ab: Die SBB verkaufen Kombi-Gruppenbillette über die Tochterfirma Railaway für Schulklassen und private Gruppen, zum Beispiel den Eintritt ins Römermuseum Augusta Raurica inklusive Zugfahrt nach Kaiseraugst AG. Doch das Geschäft läuft schlecht: 2014 verkaufte Rail­away 29,4 Prozent weniger Gruppen-Kombireisen als im Vorjahr.   

SBB-Rückerstattung bei geänderter Zahl von Teilnehmern mühsam

Die Zahl der Gruppenfahrten mit normalem Kollektivbillett halbierte sich zudem zwischen 2004 und 2013. Sie sank von 3,5 Millionen auf 1,5 Millionen. Die SBB sagen dazu, der tatsächliche Rückgang sei viel geringer, weil die Gruppenbillette der regionalen Verkehrsverbünde nicht mitgezählt würden. Doch für das Jahr 2014 legen die SBB keine Zahlen mehr vor. 

Lehrer kritisieren auch, dass Rückforderungen bei den SBB-Gruppenbilletten oft mühsam seien. Reisen weniger Kinder mit als geplant, muss der Kondukteur dies auf dem Gruppenbillett vermerken. Nur so erhalten die Lehrer das Geld am Schalter zurück. Doch in ­unbegleiteten Zügen fehlen die Kontrolleure. Die SBB können dann laut Tarif­verordnung in «Zweifels­fällen» eine Rückzahlung für fehlende Schulkinder  ablehnen. Zudem reservieren die SBB in den unbe­gleiteten Zügen für Gruppen in der Regel keine Plätze mehr.

Fernbusse graben der Bahn im internationalen Verkehr das Wasser ab

Neben den Schulen und Gruppen steigen auch Berufspendler auf die Strasse um und fahren mit dem Auto zur Arbeit (saldo 7/15). Zusätzlich verlieren die SBB auch im internationalen Verkehr an Terrain. Sie beförderten 2014 pro gefahrenen Kilometer 6,4 Prozent weniger Passagiere als im Vorjahr. Das zeigt ein neuer Bundesratsbericht. Die Konkurrenz durch güns­tige Fernbusse nach Deutsch­land zählt laut Bericht «zu den Hauptursachen» dieser Entwicklung.

Doch der Verlust von Marktanteilen an die Strasse muss die SBB nicht kümmern. Denn der Bundesrat strich am 1. April 2015 klammheimlich die Verkehrsverlagerung aus den strategischen Zielen für die SBB: 

  • Neu müssen die SBB keinen «massgeblichen Beitrag zur Verlagerung des Verkehrs von der Strasse auf die Schiene und zur Sicherstellung der Grundversorgung (Service public)» mehr leisten. 
  • Neu muss der Personen-Regionalverkehr den «bestehenden hohen Marktanteil» gegenüber der Strasse nicht mehr halten. 
  • Dafür soll neu «die Finanzierung durch die Nutzerinnen und Nutzer gestärkt werden». Im Klartext: Der Bundesrat will weitere Preiserhöhungen. Ende Mai rügte das Bundesamt für Verkehr deshalb den Verband Öffentlicher Verkehr, weil er die Billettpreise nicht anhob. Dadurch zeichne «sich eine grosse Finanzierungslücke ab», behauptet das Amt in seinem aktuellen News­letter.

Versprechen aus dem Abstimmungskampf ging vergessen

Verkehrsministerin Doris Leuthard ist es offenbar egal, wenn Gruppen, Pendler oder Städtereisende wegen der hohen Preise den Car, das Auto oder den Fernbus nehmen. Vor der Volksabstimmung über die Finanzierung der Bahninfrastruktur (Fabi) im Februar 2014 behauptete das Departement von Doris Leuthard noch: «Mit dem Fabi-Beschluss wird sichergestellt, dass der ­öffentliche Verkehr für ­Pendlerinnen und Pendler, ­Touristen, Ausflügler und Berufsreisende attraktiv bleibt.»