Köche im Schaufenster
Gastro-Kritik von Andrin C. Willi
Inhalt
saldo 15/2006
27.09.2006
Als Bub besuchte ich einmal mit meinen Eltern Guido Jäger, den damaligen Küchenchef des Hotel Palace in St. Moritz. Wir assen in der Hotelküche und schauten den Männern mit den hohen weissen Mützen bei ihrer Arbeit zu - was für eine Ehre!
Laut und rutschig war es, Töpfe knallten, es wurde geschrien und geflucht. Alles auf Französisch. Streng hierarchisch ging es zu und her, die Kommandos kamen militärisch - eine raue Welt.
Heute muss man nicht mehr den Küc...
Als Bub besuchte ich einmal mit meinen Eltern Guido Jäger, den damaligen Küchenchef des Hotel Palace in St. Moritz. Wir assen in der Hotelküche und schauten den Männern mit den hohen weissen Mützen bei ihrer Arbeit zu - was für eine Ehre!
Laut und rutschig war es, Töpfe knallten, es wurde geschrien und geflucht. Alles auf Französisch. Streng hierarchisch ging es zu und her, die Kommandos kamen militärisch - eine raue Welt.
Heute muss man nicht mehr den Küchenchef kennen, um einen Blick in die Küche werfen zu können. «Der Gastro-Voyeurismus spielt eine immer wichtigere Rolle», sagt der Architekt Peter Kern. Und so gibt es denn immer mehr Restaurants mit Sichtfenster. Durch diese gucken die Gäste von ihrem Platz aus den Köchen bei der Arbeit zu. Sichtküchen nennt man das.
Was der Gast dort zu sehen bekommt, ist oft langweilig. Weil den Köchen nicht bewusst ist, dass sie Teil einer Live-Aufführung sind. Und sie nicht mehr wie bisher hinter verschlossenen Türen wursteln können. Sie müssen den Umgang und Tonfall ändern, ihre Arbeitsweise und ihren Auftritt.
Im Ristorante San Bernardo in Comano funktioniert das nicht. Dort blickt man durch halb volle Schnapsflaschen hindurch an die Mikrowelle. Ansonsten sieht man den Tellerwäscher, der die Spülmaschine bedient, oder kann den Küchenchef beobachten, wie er grimmig aus der dreckigen Wäsche guckt.
Ein Hingucker hingegen ist das Sichtfenster im Hotel Les Trois Rois in Basel. Es verblüfft, weil es unerwartet im Gang auftaucht - und das Personal sich bewusst ist, dass man ihm bei der Arbeit zuschaut.
Im Restaurant La Salle in Zürich kann man sogar in die Küche schauen, bevor man ins Restaurant eintritt. Eine gute Idee, die man institutionalisieren sollte. Im schlimmsten Fall könnte man sich dann nämlich den Restaurantbesuch nochmals überlegen.
Für die Köche ist die Sichtküche eine Chance, denn sie wertet ihr anonymes Handwerk auf. Wir Gäste wollen sehen, wie schnell da einer Zwiebeln hackt, die Leber mit Cognac flambiert oder mit welcher Präzision ein Starkoch seine Teller anrichtet. Das ist ein bisschen Jamie Oliver, einfach live.
Zurück in die Küche des «Palace». Vor einem Jahr war ich wieder da. In der Küche drängten sich 200 elegant gekleidete Gäste. Sie bezahlten über 200 Franken, um im Rahmen des Gourmet-Festivals den Starköchen über die Schultern zu schauen. Diese Kitchen-Party ist jedes Jahr der beliebteste Anlass des Gourmet-Festivals. Und hoffentlich eine kleine Ermunterung für alle Köche, aus dem Schatten ins Rampenlicht zu treten.