Beziehungsfalle: Das Wohl des Kindes
Inhalt
Gesundheitstipp 1/2000
01.01.2000
Lucie und Ruppert lebten recht glücklich zusammen. Gelegentliche Unstimmigkeiten besprachen sie und fanden auch immer eine Lösung, die beide akzeptieren konnten.
Seit der Geburt ihres Sohnes hat sich das schlagartig geändert. Ihre Ansichten über den richtigen Umgang mit Marc gehen weit auseinander. Lucie hält sich nicht für eine überängstliche Mutter. Aber sie bemüht sich, sorgfältig und umsichtig zu handeln. So achtet sie stets darauf, dass das Kind nicht ständig zu Ve...
Lucie und Ruppert lebten recht glücklich zusammen. Gelegentliche Unstimmigkeiten besprachen sie und fanden auch immer eine Lösung, die beide akzeptieren konnten.
Seit der Geburt ihres Sohnes hat sich das schlagartig geändert. Ihre Ansichten über den richtigen Umgang mit Marc gehen weit auseinander. Lucie hält sich nicht für eine überängstliche Mutter. Aber sie bemüht sich, sorgfältig und umsichtig zu handeln. So achtet sie stets darauf, dass das Kind nicht ständig zu Veranstaltungen mitgeschleift wird, regelmässig sein Fläschchen bekommt, immer frisch gewickelt und warm eingepackt ist.
Ruppert sorgt sich ebenfalls um den kleinen Sohn. Aber er hat ganz andere Vorstellungen. Er gehört zu den Vätern, die Kinder gerne in der Luft herumwirbeln. Gelegentlich liefert er beinahe zirkusreife Vorführungen - was hinterher jedesmal zu einem heftigen Streit zwischen ihm und Lucie führt.
Das «richtige» Erziehen führt oft zu Streit
Während Ruppert das Kreischen des Kindes als glückliche Jauchzer interpretiert, hört Lucie blankes Entsetzen in seiner Stimme. Als nun Ruppert mit Marc zum Schlitteln fährt, ohne ihm Handschuhe und Mützchen anzuziehen, ist für Lucie klar: So kann es nicht weitergehen.
Viele Paare erleben Ähnliches wie Lucie und Ruppert. Sie haben sich ihre kleine Familie immer harmonisch vorgestellt. Sie glauben, dass ein Kind die Beziehung noch verbessert. Doch in der Regel trifft das nicht zu.
Ein Kind ist für Eltern immer eine grosse Aufgabe. Oft stellt es das ganze Leben auf den Kopf. Hinzu kommt: Beide haben bestimmte Ideen, wie man ein Kind erziehen soll. Im Grundsatz stimmen sie oft überein, aber im Alltag klaffen die Meinungen auseinander. Das sorgt für Zündstoff.
Unsere persönlichen Empfindungen über das, was uns selbst gut tut, unterscheiden sich oft stark. Genauso verschieden sind unsere Vorstellungen über das Wohl unserer Kinder. Mütter befürchten oft sofort eine Erkältung, wenn Halstuch und Mütze fehlen. Väter bedenken nicht, dass daran etwas nicht gesund sein könnte. Bei Vorwürfen fallen sie aus allen Wolken.
Lucie und Ruppert haben rechtzeitig die Notbremse gezogen, denn ihre Streitereien führten dazu, dass sie sich allmählich entliebten. In Gesprächen fanden sie heraus: Beide wollen nur das Beste für das Kind.
Lucie begriff: Wenn Ruppert dem Kleinen keine Mütze anzieht, bedeutet das nicht, dass er verantwortungslos ist oder sein Kind nicht liebt. Wenn er Marc in die Luft wirft, will er ihn weder gefährden noch ihm einen Schock versetzen. Ruppert liebt Marc und würde alles für ihn tun. Aber in seinem Weltbild ist die Mütze unwichtig. Dafür gehört «durch die Luft fliegen» zum Schönsten, was er seinem Kind bieten kann.
Jeder kümmert sich nach bestem Wissen ums Kind
Ruppert lernte ebenfalls zu verstehen, dass Lucies Fürsorge für Marc nicht hysterische Mutterliebe ist, sondern ihrem Wunsch entspricht, für das Kind und sein Wohl so gut wie möglich zu sorgen.
Beide Partner verstanden: Jeder kümmert sich nach bestem Wissen und Gewissen um das Kind. Und: Es geht nicht darum, welche Erziehungs-Variante die einzig richtige ist. Es kommt darauf an, dem Partner Toleranz entgegenzubringen.
Vor allem wurde beiden klar: Das Kind ist ein eigenes Wesen. Es ist viel wichtiger zu lernen, sich in seine Welt einzufühlen, als dem Partner oder der Partnerin Vorwürfe zu machen.
Buchtipp:
- Michael Mary: «Zwölf Beziehungskiller und wie man sie vermeiden kann», Kreuz, Fr. 19.90
Vortragskassetten:*
- Michael-Lukas Moeller: «Die Wirklichkeit beginnt zu zweit: Das Paar im Gespräch», Auditorium, Fr. 32.-
- Irina Prekop: «Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen», Auditorium, Fr. 32.-
- Gertraut Diem Wille: «Verstehen der inneren Welt des Kindes», Auditorium, Fr. 20.-
*Bezugsquelle: Media Didacta Verlag, Postfach 1314, 8580 Amriswil, Tel. 071 411 04 06, Fax 071 411 04 05, E-Mail: media-didacta@bluewin.ch
Julia Onken
Die Psychologin und Autorin behandelt auf dieser Seite Fragen und Probleme aus Partnerschaft und Ehe. Die Gründerin und Leiterin des Frauenseminars Bodensee und des Vereins «Bildungsfonds für Frauen» hat sich auch als Dozentin in der Erwachsenenbildung einen Namen gemacht. (www.julia-onken.ch)