Aggression aus dem Kinderzimmer
Auf die Altersangaben auf den Gewaltspielen ist kein Verlass. Sie stammen von den Herstellern selbst.
Inhalt
saldo 11/2007
13.06.2007
Pascal Tischhauser
Die Wissenschaft ist sich einig: «Der Konsum von Mediengewalt erhöht die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen.» Das hielten Experten aus Europa und den USA kürzlich in der Abschlusserklärung eines Symposiums zu Mediengewalt in Potsdam fest.
Ingrid Möller, Mitorganisatorin der Tagung, betont gegenüber saldo: Eine Serie von Studien mit total 3300 Teilnehmern habe belegt, dass der Konsum von Gewaltmedien die Fähigkeit, Mitleid zu empfinden, verringere...
Die Wissenschaft ist sich einig: «Der Konsum von Mediengewalt erhöht die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen.» Das hielten Experten aus Europa und den USA kürzlich in der Abschlusserklärung eines Symposiums zu Mediengewalt in Potsdam fest.
Ingrid Möller, Mitorganisatorin der Tagung, betont gegenüber saldo: Eine Serie von Studien mit total 3300 Teilnehmern habe belegt, dass der Konsum von Gewaltmedien die Fähigkeit, Mitleid zu empfinden, verringere. Zudem würden die Spieler andere Personen eher als feindselig einschätzen. Dadurch würden sie selber aggressiver handeln.
Altersangaben auf den Packungen der Spiele sollten dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche nicht zu früh mit Gewaltszenen konfrontiert werden. Doch auf sie ist kein Verlass. Das zeigt eine Studie des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Untersucht wurde, ob die Alterseinstufungen der deutschen Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) korrekt sind. Das Ergebnis der Forscher: Nur 22 von 62 untersuchten Spielen sind altersgerecht eingestuft. Bei 17 sei die Klassifizierung zweifelhaft, bei 23 eindeutig nicht angemessen. Die Gutachten der Spielprüfer würden falsche Angaben zu drastischen Blutdarstellungen enthalten. Ausgegangen werde zudem stets von spielerfahrenen Jugendlichen am oberen Rand der Altersgrenzen, statt von wenig erfahrenen.
Ein saldo-Vergleich zeigt:
In der Schweiz sind Gewaltspiele vielfach noch tiefer eingeordnet. 6 von 10 der zurzeit am häufigsten verkauften Games werden weniger streng beurteilt als in Deutschland. Ein einziges der Spiele, «Grand Theft Auto: Vice City», wird in der Schweiz strenger eingestuft. Grund: «Von Vice City ist in Deutschland eine entschärfte Version auf dem Markt», so die USK-Sprecherin Christine Schulz.
Strafgesetz: Zu wenig griffig formuliert
Doch weshalb der Unterschied zu Deutschland? Dafür gibt es zwei Gründe.
Erstens: Die Alterseinstufung wird in der Schweiz wie in andern europäischen Ländern durch das System der Pan European Game Information (Pegi) vorgenommen. Das Pegi-Einstufungssystem basiert auf einem Selbstbewertungsbogen, bei dem die Hersteller durch die Beantwortung verschiedener Fragen die Einstufung selbst vornehmen.
Der zweite Grund: Artikel 135 des Strafgesetzbuches verbietet zwar die Beschaffung und Verbreitung von Bildern mit eindringlich dargestellten Grausamkeiten gegen Menschen und Tiere. Doch das Gesetz blieb toter Buchstabe. Weshalb? Brigitte Tag, Strafrechtsprofessorin an der Universität Zürich, erklärt: «Die Darstellungen müssten laut Gesetz die “elementare Würde des Menschen” in schwerer Weise verletzen.» Es sei bereits stark umstritten, was unter «Würde des Menschen» zu verstehen ist. Noch schwieriger ist es festzustellen, was die «elementare Würde» bedeutet. Deshalb sei der Artikel allgemein zwar sinnvoll, aber im Einzelfall nur mit grossen Schwierigkeiten anwendbar.
Wie können Sie Ihre Kinder schützen?
- Die Alterskennzeichnungen geben zwar einen Hinweis darauf, für welches Alter sich ein Spiel eignet. Besser ist es jedoch, sich selbst ein Bild vom Inhalt zu machen.
- Es empfiehlt sich, mit den Kindern über die Gefahr zu reden, statt das Spielen zu verbieten.
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