4300 Franken sind weg – für nichts
Erika Winzeler liess sich von einem Verkäufer zu Hause ein Gerät gegen ihre Rückenschmerzen aufschwatzen. Die Schmerzen sind geblieben, mehrere Tausend Franken aber sind verloren.
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Gesundheitstipp 05/2010
09.05.2010
Letzte Aktualisierung:
11.05.2010
Tobias Frey
Die 82-jährige Erika Winzeler aus Thayngen SH plagen seit Jahrzehnten die Schmerzen im Rücken. Operationen an den Bandscheiben haben nichts gebracht. Jeden Tag schluckt sie Tabletten. Nur mit dem Rollator, einer Stütze mit Rädern, kann sie sich draussen sicher bewegen.
Kein Wunder, hatte Winzeler ein offenes Ohr, als eine Vertreterin anrief. Sie habe ein Gerät, das Schmerzen vertreibe. Erika Winzeler war einverstanden, dass das Gerät bei ihr zu Hause ...
Die 82-jährige Erika Winzeler aus Thayngen SH plagen seit Jahrzehnten die Schmerzen im Rücken. Operationen an den Bandscheiben haben nichts gebracht. Jeden Tag schluckt sie Tabletten. Nur mit dem Rollator, einer Stütze mit Rädern, kann sie sich draussen sicher bewegen.
Kein Wunder, hatte Winzeler ein offenes Ohr, als eine Vertreterin anrief. Sie habe ein Gerät, das Schmerzen vertreibe. Erika Winzeler war einverstanden, dass das Gerät bei ihr zu Hause vorgeführt wurde. Wenige Tage später stand Verkäufer Robert Michel vor ihrer Tür. Mit dabei hatte er den Neurostimulator «Physiotonic».
Dieser soll mit elektrischem Strom die Nerven aktivieren und Muskeln wieder aufbauen. Neupreis des Geräts bei «Gesundheitsberater» Michel: 5200 Franken. Heilen könne der Apparat zwar nicht, aber die Schmerzen lindern. Drei Monate müsse man Geduld haben. Winzeler erinnert sich: «Michel berichtete, dass Patienten nach der Behandlung wieder ohne Stock gehen konnten.» Das sind Worte, die bei Winzeler ankamen. Leider, wie sie heute, fast ein Jahr später, sagt. Denn die Schmerzen sind noch da, nur das Geld nicht.
Vier Monate Behandlung – und keine Besserung
Im Verkaufsgespräch lockte Michel mit grosszügigen Vergünstigungen: 10 Prozent Rabatt als «Vorführangebot», je 4 Prozent Rabatt bei «Zahlung innert 5 Tagen» und «Barzahlung». Macht 4300 Franken. Winzeler legte das Geld auf den Tisch Winzeler begann sofort mit der Behandlung, setzte die Elektroden ans Knie und an den Rücken, so berichtet sie. Jeweils eine Stunde lang, Tag für Tag, Woche für Woche. Doch die Schmerzen blieben.
Nach vier Monaten verlor Winzeler die Geduld. Sie rief Michel an, er könne das Gerät wieder abholen. Michel wollte Bedenkzeit. Danach war er für Winzeler nicht mehr erreichbar. Ein eingeschriebener Brief kam zurück.
Winzeler rief ihn weiter an, schrieb ihm noch einen Brief. Am 8. Dezember bot ihr Michel schriftlich 2150 Franken an, falls er das Gerät einem anderen Kunden verkaufen könne. Dies aber nur, weil «ich Sie als aufgestellte und nette Frau kennengelernt habe».
Rheuma-Spezialist: «Gerät ist hoch überteuert»
Nicht nur Erika Winzeler, auch Experten zweifeln an der Wirksamkeit des Geräts. Drei vom Gesundheitstipp angefragte Rheuma-Spezialisten kennen den «Physiotonic» nicht. In einem sind sie sich aber einig: Er ist zu teuer. «Hoch überteuert», schreibt gar Gérard Hämmerle von der Zürcher Schulthess-Klinik.
Es gebe ein ähnliches Gerät, das manche Patienten unter Kontrolle eines Arztes einsetzen könnten. Es könne die Schmerzen mit einer «gewissen Evidenz» verringern. Das Gerät koste aber nur 300 Franken. Gesundheitstipp-Juristin Marina Oester spricht deshalb von Täuschung und Übervorteilung: «Michel hat die Unkenntnis der älteren Dame ausgenützt.»
Michel sagt gegenüber dem Gesundheitstipp, sein Gerät könne mehr als andere. Zudem könne man die Therapie allein zu Hause machen, ohne Arzt oder Physiotherapeut. «Da kommt man am Schluss nicht teurer weg.» Er zwinge auch niemanden, das Gerät zu kaufen. Kunden hätten viermal Gelegenheit, Nein zu sagen: «Beim ersten Telefonkontakt, beim Hausbesuch, beim Bestellen des Geräts und durch das Rückgaberecht.» Er verdächtigt Winzeler, sie habe den Apparat zu wenig regelmässig eingesetzt.
Bis heute hat Erika Winzeler von Michel keinen Rappen gesehen. Marina Oester: «Teure medizinische Geräte sollte man nie unter der Haustüre kaufen.» Besser ist: Nochmals eine Nacht darüber schlafen und den Hausarzt anfragen. Oester: «Ein Arzt kann sagen, ob eine Behandlung etwas taugt.»
Tipps: Haustürkauf – das müssen Sie wissen
- Kaufen Sie keine teuren medizinischen Geräte und Therapien unter der Türe.
- Holen Sie zuerst die Meinung Ihres Hausarztes ein.
- Kommt der Vertreter auf eigene Initiative, haben Sie ein Rückgaberecht von sieben Tagen.
- Aufgepasst: Wenn Sie selber einen Vertreter kontaktieren, um einen Termin zu Hause zu vereinbaren, haben Sie kein Rückgaberecht!
- Reden Sie mit dem Verkäufer, wenn Sie nicht zufrieden sind.
- Wenn alles nichts nützt: Erwägen Sie ein Klage.