Da soll der NZZ-Leser drauskommen? «Für den Zeitraum zwischen 2030 und 2049 sagen 10 Prozent der Klimaprognosen eine Ertragssteigerung um mehr als 10 Prozent voraus. Ebenso viele Modelle prognostizieren für den gleichen Zeitraum jedoch Einbussen von über 25 Prozent.» Ja, was nun? Hunger oder Überfluss? Niemand weiss es, am wenigsten die NZZ, darum der banale Schluss: «Wie sich die Situation nach 2050 entwickelt, hängt vom Grad der Erwärmung ab.» Wer hätte das gedacht?
Unterschiedliche Aussagen in derselben Zeitungsausgabe
Ganz anders das «St. Galler Tagblatt» – übrigens aus dem gleichen Verlag wie die NZZ. In der Ostschweiz ist bereits klar, wohin die Reise geht: «Erderwärmung hat bereits drastische Auswirkungen.» Denn: «Bereits heute werde die Nahrungsmittelerzeugung insgesamt beeinträchtigt, was zu Preissteigerungen für Nahrungsmittel und Getreide führe. In Zukunft könnten sich die sozialen Konflikte, Armut und Hunger noch verstärken», heisst es klar.
Doch ein ETH-Klimatologe konstatiert im gleichen Blatt, dass gar nichts klar ist: «Die Auswirkungen des Klimawandels seien an jedem Ort anders, und sie seien anders für Tourismus, Wasser, Gletscher, Küsten, Landwirtschaft, Artenvielfalt, Infrastruktur etc.» Fazit für die Leser: Sie wissen zwar, alles wird schlimm – aber nicht wie schlimm.
Der «Walliser Bote» setzt den Lesern nur gerade eine vage Zusammenfassung des Klimaberichts durch die schweizerische Nachrichtenagentur SDA vor: «Der vom Menschen verursachte Klimawandel hat schon jetzt schwerwiegende Auswirkungen auf alle Kontinente und Meere.» Was darunter genau zu verstehen ist, zeigt ein Bild: Ein Walross sitzt auf einer kleinen Eisinsel, die dem Tier unter dem Hintern wegzuschmelzen droht. Im Hintergrund ein Schiff von Greenpeace. Emotionen statt Fakten.
Das Gleiche im Winterthurer «Landboten». Da liest man: «Steigende Meeresspiegel, anhaltende Dürren, Monsterstürme und andere extreme Wetterereignisse sind die Vorboten einer Welt, die den Auswirkungen der Erderwärmung nicht mehr entkommen kann», heisst es. Und weiter: «Einen Vorgeschmack lieferten die Monsterstürme Hayan, Sandy und Katrina.» Doch dann schränkt der «Landbote» ein, die Wissenschafter könnten diese extremen Wetterverhältnisse nicht ursächlich mit der Erderwärmung erklären. Damit ist der Leser so klug wie zuvor.
«Tages-Anzeiger» versucht sich an einer Risikorechnung
Noch emotionaler die «Berner Zeitung»: Die wahren Kosten des Klimawandels liessen sich finanziell nicht ermessen, wird ein nepalesischer Wissenschafter zitiert: «Es kann keine Kostenrechnung geben für den Verlust eines Ehemannes, einer Mutter, eines Sohnes oder einer Tochter; für den Verlust der Heimat.» Dafür kommt der Artikel ohne Zahlen über den Klimawandel aus.
Differenzierter berichtet der «Blick». Der Titel ist sehr zurückhaltend: «Wo die Erde fiebert – wo sie gesund bleibt.» Im Artikel werden die negativen Auswirkungen des Klimawandels erwähnt, etwa die Trinkwasserknappheit in südlichen Ländern. Aber es steht auch: «Gewinner wären bisher kühle Regionen mit genügend Wasser (Gebiete am Polarkreis, Sibirien und Skandinavien. Tourismus und Landwirtschaft könnten diese bewohnbaren Regionen attraktiv machen.» Der «Blick»-Leser erfährt im Klartext, dass die Klimaerwärmung Tatsache ist, dass es zu negativen Auswirkungen kommt, dass aber keine Panik angesagt ist.
Eine Fleissarbeit lieferte der «Tages-Anzeiger» zum Thema ab. In einer aufwendigen Grafik sind die Risiken je nach «Anpassungsmassnahmen» an die Folgen der Klimaveränderungen bis zum Jahr 2100 aufgezeichnet. Dazu gehört das Erstellen von Dämmen oder die Speicherung von Wasser. Allerdings ist das Schaubild trügerisch: Es unterstellt, dass sich Wahrscheinlichkeiten genau berechnen liessen. Im Artikel wird allerdings präzisiert: «Die wissenschaftlichen Fortschritte der letzten Jahre erlauben es den Forschern nun, Risiken für noch grössere Hochwasser- und Sturmschäden besser einzuschätzen, auch wenn die Klimaforscher noch zahlreiche offene Fragen aufzählen.»
Jedes Blatt bringt Auszüge aus einem 50-seitigen Bericht
Im Einzelfall hat man den Eindruck, die Journalisten stützten sich in ihren Artikeln auf verschiedene Quellen und nicht auf einen einzigen Bericht. So schreibt die «Berner Zeitung»: «Die gegenwärtigen Flüchtlingsströme sind teilweise durch Klimaveränderungen in den Ursprungsländern der Flüchtlinge erklärbar.» Ganz anders im «Blick»: «Der Bericht räumt ein, dass es bisher keine Klimaflüchtlinge gibt und der Temperaturanstieg niedriger ist als befürchtet.» Wie auch immer: Quelle war in jedem Fall eine knapp 50-seitige Zusammenfassung eines umfassenden Berichts, an dem 800 Wissenschafter aus der ganzen Welt unter der Leitung des Weltklimarates der Uno mitarbeiteten.
Das Fazit der Lektüre: Wer sich für die Klimaentwicklung näher interessiert, ist gut beraten, möglichst viele Quellen zu nutzen.