Der Arbeitnehmer fordert von seinem ehemaligen Chef ausstehende Löhne in der Höhe von 8743 Franken. Vor der Gerichtsverhandlung macht er sich eifrig Notizen. Es scheint, als ob er sich damit selbst Mut für die bevorstehende Verhandlung machen möchte. Einen Anwalt hat er nicht. Er fühlt sich nicht wohl, als er dann vor dem Einzelrichter im Kantonsgerichtssaal im obwaldnischen Sarnen steht. Streiten liege ihm nicht, sagt er.
Der Einzelrichter fordert ihn auf, seine Klage zu begründen. Der Arbeitnehmer trägt sein Anliegen leise, unsicher und in wenigen Sätzen vor. Er war seit 2008 Leiter Marketing und Verkauf in einem Unternehmen, das Snackautomaten aufstellt.
Arbeitgeber will hohe Darlehen gewährt haben
Er klagt gegen seinen Arbeitgeber nicht aus freien Stücken, sondern auf Geheiss seiner Arbeitslosenkasse. Bei dieser hatte er sich angemeldet, als er wegen der ausbleibenden Lohnzahlungen fristlos gekündigt hatte. Als Beweis für seine Forderung präsentiert er dem Richter eine Aufstellung der Lohnzahlungen und der Differenzen zum tatsächlich vereinbarten Lohn. Die Aufstellung hatte der Arbeitnehmer auf seinen Wunsch hin erhalten.
Der Arbeitgeber ist nicht anwesend. Er lässt sich durch seinen Anwalt vertreten. Dieser macht kurzen Prozess und zückt die Lohnausweise aus der fraglichen Zeitspanne. Daraus gehe hervor, dass der Arbeitnehmer noch 260 Franken Lohn zugut habe, nicht aber die geforderten 8743 Franken.
Aber auch diese 260 Franken will der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht auszahlen. Grund: Der Arbeitnehmer hätte von der Firma immer wieder kleinere und grössere Summen von total rund 48 000 Franken als Darlehen erhalten.
Kläger von neuen Zahlen aus der Buchhaltung überrascht
Eine schriftliche Abmachung zu den behaupteten Darlehen kann der Anwalt zwar nicht vorweisen, aber er reicht dem Gericht als Beleg einige Kontoauszüge ein als Beweis dafür, dass die 260 Franken längstens abgegolten sind.
Die Lohnausweise scheinen für den Arbeitnehmer neu zu sein. Er hat seine eigenen Lohnbelege der Steuererklärung beigelegt und keine Kopien aufbewahrt. «Ich bin von diesen Berechnungen und den Lohnausweisen überrascht», sagt er und studiert fassungslos die eingereichten Unterlagen. «Das kann doch nicht sein, das ist falsch verbucht worden!» Die Barbezüge vom Firmenkonto seien keine Darlehen, das Geld habe er für Ausgaben der Firma verwendet.
Nach einer Viertelstunde Pause fragt der Richter die Parteien, ob sie sich auf einen Vergleich einigen könnten. Der Arbeitnehmer ist verunsichert. Eigentlich will er lieber ein Urteil. Er erzählt dem Richter, er habe sich für die Firma aufgeopfert, Überstunden gemacht und kaum Ferien bezogen. «Wenn ich dies in die Waagschale lege, bin ich nicht bereit für einen Kompromiss!»
Richter stützt seine Berechnungen auf die Arbeitgeberpapiere
Der Richter legt ihm dar, er habe sich die Unterlagen in der Pause angesehen und sei mit seinen Berechnungen wie der Arbeitgeber lediglich auf einen ausstehenden Lohnanspruch von 260 Franken gekommen. Jetzt knickt der Arbeitnehmer ein: Er erklärt sich bereit, seine Klage zurückzuziehen und die Anwaltskosten der Gegenpartei in der Höhe von 1500 Franken zu übernehmen.
Nach der Gerichtsverhandlung ärgert er sich: Er sei auf einen cleveren Schachzug des Anwalts hereingefallen. «Ich war durch die Lohnausweise überrascht und hatte nicht die Zeit, die richtigen Gedanken zu fassen.» Die Lohnausweise gäben zwar den arbeitsvertraglich vereinbarten Lohn wieder. Aber das Geld sei in der Realität nicht immer ausgezahlt worden.
Ein zweites Mal klagen kann der Arbeitnehmer aber nicht mehr: Ein Klagerückzug hat die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheids.
Prozessieren: Zwei Anläufe sind nicht möglich
In Zivilverfahren ist mit der Einreichung einer Klage beim Gericht der Prozess hängig. Das Gericht prüft dann summarisch, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, um auf das Begehren einzutreten. Einen Nichteintretensentscheid kann es beispielsweise dann geben, wenn jemand eine Klage bei einem örtlich unzuständigen Gericht einreicht.
Tritt das Gericht auf die Klage ein, endet das Verfahren mit einem Urteil, sofern der Kläger das Begehren nicht wieder zurückzieht oder die beklagte Partei den Anspruch anerkennt.
Urteil, Rückzug und Anerkennung beendigen den Prozess definitiv. Die gleiche Streitigkeit kann kein zweites Mal vor Gericht gebracht werden. Bei Rückzug ist kein Rechtsmittel an eine höhere Instanz möglich.
Deshalb ist wichtig: Ein Rückzug muss gut überlegt sein. Einzige Ausnahme: Zieht jemand eine Klage zurück, weil das Gericht nicht zuständig ist, kann er am richtigen Ort nochmals klagen.