Eigentlich ist der Fall klar: Ein Stromversorger darf von den Haushalten nicht höhere ­Tarife verlangen als von den Grosskunden, nur weil die Privatkunden ihren Stromlieferanten nicht wechseln können. Stefan Burri von der Strommarktaufsicht Elcom sagt: «Zahlt ein Versorger beim Stromeinkauf für alle Kundengruppen gleich viel, darf er den Haushalten keine höheren Energietarife verrechnen. Das verbietet das Gesetz.»

Nur wenn ein Elektrizitätswerk für seine Grosskunden günstiger Strom beschaffen kann, ist ein tieferer Tarif zulässig. Das ist beispielsweise möglich, wenn ein Grosskunde seine Kühllager rund um die Uhr betreibt und deshalb immer gleich viel Strom braucht. Der Lieferant muss dann nie kurzfristig teuren Strom hinzukaufen, weil sich der Stromverbrauch geändert hat. 

Noch 2012 zahlten sowohl Haushalte wie Grosskunden im Mittel 9 Rappen für die Energie (ohne Netzkosten und andere Abgaben). Das heisst: Nur ganz wenige Grosskunden profitierten damals von günstigeren Tarifen. Nächstes Jahr zahlen Grosskunden im Mittel 14,4 Prozent weniger für Energie als 2012. Bei den Haushalten sind es nur 7,8 Prozent weniger. Das heisst: Die Grossverbraucher profitieren dop­pelt so stark von den tieferen Marktpreisen für Strom wie die Haushalte. Dies zeigen neue Zahlen der Elcom. 

Höhere Rechnung, obwohl die Strompreise sinken

Steigende Abgaben für die Netznutzung und für die Ökostromförderung machen die sinkenden Strom­kosten für Haushalte allerdings zunichte («K-Tipp» 15/14). Die Stromrechnung eines Durchschnittshaushalts mit einem Verbrauch von 4500 Kilowattstunden (kWh) fällt deshalb im nächsten Jahr um 5 Prozent höher aus, errechnete die ­Elcom. Damit steigen die Stromausgaben um 42 Franken auf 931 Franken.

Grossverbraucher sind solch steigenden Strom­tarifen nicht ausgeliefert. Wer über 100 000 kWh pro Jahr verbraucht, kann den Stromlieferanten auswählen. Dieser Wettbewerbsdruck fehlt bei Haushalten. Deshalb sinken nur die Tarife für die Grosskunden, was Preisüberwacher Stefan Meierhans kritisiert (saldo 10/14). 

Die Preisgestaltung der Stromversorger ist in mindestens drei Fällen so auffällig, dass sich die Frage stellt, ob die gefangenen Haushalte die Zeche für die tiefen Preise der Grossverbraucher zahlen müssen. Dies zeigt die Analyse der Elcom-Rohdaten über die Energiepreise 2015 (ohne Netzgebühren und andere Abgaben): 

  • In Derendingen SO schlägt der lokale Stromversorger EWD bei einem Durchschnittshaushalt um 8,41 Prozent auf. Die Grossverbraucher erhalten hingegen eine Reduktion um 20,13 Prozent. Resultat: Die Haushalte zahlen 2,3 Rappen mehr pro kWh als Grosskunden und haben ab Januar den höchsten Stromtarif im Kanton Solothurn. Grossverbraucher wie etwa die Derendinger Zeitungsdruckerei Vogt-Schild profitieren von tieferen Preisen, ohne den Lieferanten zu wechseln. 
  • In der Zentralschweiz schlagen die CKW bei den rund 120 000 Privathaushalten im Durchschnitt um 1,79 Prozent auf. Die Grossverbraucher erhalten eine Reduktion um 6,33 Prozent. Die Haushalte zahlen 1,12 Rappen mehr pro kWh als Grosskunden. 
  • In Delémont JU schlägt der Stromversorger SID bei einem Durchschnittshaushalt zwar nicht auf. Die Grossverbraucher erhalten jedoch eine Reduktion um 10,53 Prozent. Die Haushalte zahlen 1,96 Rappen mehr pro kWh als Grosskunden.

Alle drei Stromversorger sagen gegenüber saldo, ihre Tarifpolitik sei «gesetzeskonform». Sie würden den Haushalten bloss die höheren Einkaufspreise weiterverrechnen.

Die Elcom hinterfragt nun die Tarifpolitik einzelner Anbieter. Die Aufsichtsbehörde sei sich bewusst, «dass die Haushalte übermässig zur Kasse gebeten werden könnten». Laut Stefan Burri, Chef Preise und Tarife bei der Elcom, hat die Behörde deshalb eine Untersuchung gegen einen nicht namentlich genannten Stromversorger eingeleitet: «Wir prüfen zurzeit, ob der Haushaltstarif begründbar ist oder entgegen dem Gesetz zu hoch. Bei mehreren anderen Stromversorgern haben wir ähnliche Vorbehalte.»