Der etwa 50-jährige Geschäftsführer eines Zürcher Nagelstudios erscheint allein vor dem Arbeitsgericht Zürich. Er klagt gegen eine ehemalige Ange­stellte, eine junge Griechin. Sie kommt mit ihrem Anwalt zum Prozess.  

Der Geschäftsführer schildert den Hintergrund seiner Klage: «Im März 2017 habe ich mit der Beklagten ­einen dreimonatigen Ausbildungsvertrag abgeschlossen. Sie sollte in dieser Zeit zur Nageldesignerin ausgebildet ­werden.» Anfänglich habe sie gut gearbeitet. Anfang Mai hätten sie daher einen neuen, unbefristeten Arbeitsvertrag abgeschlossen – mit einem Monatslohn von 3200 Franken.  

Plötzlich wird der Kläger laut: «Ab dem 19. Juni erschien sie wiederholt nicht zur Arbeit.» Die Kundinnen ­hätten vergebens auf die Maniküre gewartet. «Am 6. Juli schliesslich stand sie vor den wartenden Kundinnen auf und legte den Ladenschlüssel auf mein Pult.» Seither sei sie nicht mehr gekommen. Nur zwei Tage später habe er sie in einem Nagelstudio der Konkurrenz arbeiten sehen. 

Für den Geschäftsführer ist klar: «Die Frau hat die Kündigungsfrist von einem Monat nicht eingehalten, sie lief einfach davon.» Ihm stünde deshalb eine Entschädigung von einem Monatslohn von 3200 Franken zu – und dazu noch 9600 Franken ­Schadenersatz. Der Schaden sei entstanden, da er sein Geschäft nach dem Davonlaufen der Angestellten habe schliessen müssen. 

«Beide haben die Kündigung unterschrieben»

Der Anwalt der jungen Griechin­ ­schüttelt den Kopf und legt ihre Sicht der Dinge dar. «Was der Kläger erzählt, entspricht nicht der Wahrheit.» Die Frau sei bis auf einen Tag stets zur Arbeit erschienen. «Als sie am 19. Juni krankheitshalber fehlen ­musste, teilte sie das ihrem Vor­gesetzten mit.» Am 6. Juli sei die Frau zum Geschäftsführer gegangen und habe ihm mitgeteilt, dass sie kün­digen wolle. Denn sie habe über 50 Stunden pro Woche arbeiten müssen. «Der Kläger schrieb daraufhin auf seinem Computer die Kündigung.» Beide ­hätten unterschrieben. Das könne die damals anwesende Praktikantin bestätigen. Der Geschäftsführer habe sich geweigert, seiner Mandantin eine Kopie der Kündigung zu geben. «Er verlangte bloss, dass sie noch eine Woche arbeitet. Und das tat sie dann auch.»

Der Anwalt der Griechin beantragt, die Klage sei abzuweisen. Vielmehr müsse der Geschäfts­führer seiner ehe­maligen Angestellten noch 5018 Franken bezahlen. «Sie leistete nämlich 43 Überstunden, der Kläger zahlte ihr aber für die ersten fünf Wochen ­ihrer Beschäftigung insgesamt nur 50 Franken.» Damit habe er die Unerfahrenheit der 20-jäh­rigen Frau ausgenutzt. 

Geschäftsführer verschwindet noch vor dem Urteilsspruch

Davon will der Geschäftsführer nichts wissen. «Nägelmachen ist eine Kunst», sagt er. Die Beklagte habe ­alles bei ihm gelernt. Anfangs habe sie den anderen Designerinnen bei der Arbeit zugeschaut und an Plastikmodellen geübt. «Erst nach einigen Wochen hatte sie die erste Kundin.»

Der Anwalt der Angestellten ­widerspricht. Seine Mandantin sei von Anfang an leistungsfähig ge­wesen. «Sie arbei­tete ab dem 28. März täglich 11 Stunden, und zwar von 9 bis 20 Uhr.» 

Die Einzelrichterin des Arbeits­gerichts ordnet eine kurze Pause an. Nachher werde sie einen Vergleichsvorschlag unterbreiten. Doch dazu kommt es nicht. Der Geschäftsführer hat das Gerichtsgebäude schon vorher wutentbrannt verlassen. Also muss die Einzelrichterin ein Urteil ­fällen: Sie weist seine Klage ab. Der Geschäftsführer habe lediglich pauschale Ausführungen gemacht und nicht glaubhaft dargelegt, weshalb er das Geschäft aufgrund der Kündigung der Beklagten habe schliessen ­müssen: «Er unterliess es, den Schaden mittels Belegen darzulegen.»

Die Richterin spricht der Griechin auch Geld zu: Für die ­ersten fünf ­Wochen der Anstellung muss der Kläger der Ex-Angestellten 4515 Franken zahlen. Dazu kommt eine Entschädigung für die Anwaltskosten in der Höhe von 4308 Franken. Gerichtsgebühren entfallen, da arbeitsrechtliche Konflikte bis zu ­einem Streitwert von 30 000 Franken kostenlos sind.

Gegenklagen sind zulässig

Gerichtsverfahren kosten Zeit und Geld. Deshalb sollte man sich vor Ein­reichen einer Klageschrift gut überlegen, wie gut die Erfolgsaussichten sind. Zu berücksichtigen sind nicht nur der eigene Standpunkt und die ­eigenen Beweismittel – sondern auch die Möglichkeiten der anderen Partei. Denn eine Klage kann mit einer Gegen­klage beantwortet ­werden. Die Juristen sprechen von ­einer ­Widerklage. Sie erhöht das mit der Klage verbundene Kostenrisiko. Denn Klage und Widerklage werden beim Berechnen der Gerichts­kosten zusammengezählt. Und je höher der Streitwert, desto höher die ­Gerichtsgebühren und die Entschädigung an die ­obsiegende Partei.