Aymo Brunetti ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Uni Bern. Boris Zürcher leitet die Eidgenössische Direktion für Arbeit. Vor zehn Jahren stellten die zwei Ökonomen in einem Arbeitspapier für das Staatssekretariat für Wirtschaft den Erwerbstätigen in Aussicht: Steigt in der Schweiz die Produktivität, steigt auch der Reallohn. 

Die Zahlen des Bun­des­amts für Statistik zeigen jedoch: Das ist schöne Theorie. Angestellte profitierten in den letzten 20 Jahren kaum davon, dass sie produktiver waren – also die Wertschöpfung pro Arbeitsstunde zunahm. Konkret: Ihre Produktivität nahm um 29,5 Prozent zu. Im Portemonnaie fanden Frauen aber in der gleichen Periode nur real 13,4 Prozent mehr Lohn, Männer 10,3 Prozent. Der Reallohn ist jene Summe, die nach Abzug der Teuerung übrig bleibt. 

Die höhere prozentuale Steigerung bei den Frauen ist im Wesentlichen auf ihren geringeren Lohn zurückzuführen. Tatsächlich betrug der mittlere reale Lohnzuwachs im Privatsektor seit 1994 für sie 713 Franken pro Monat, für Männer 565 Franken. 

Die Gewinne der Schweizer Unternehmen haben sich indes im selben Zeitraum verachtfacht. Von der Produktivitätssteigerung profitieren also weniger die Angestellten als die Unternehmer. 

Zürcher und Brunetti sehen in ihren Aussagen von damals und den heutigen Zahlen keinen Widerspruch. Der Zusammenhang zwischen Reallohn und Produktivität bestehe noch immer. Nur werde der Produktivitätsfortschritt in Form von tieferen Preisen an die Konsumenten weitergegeben. So habe sich die Kaufkraft ähnlich wie die Produktivität entwickelt.

Quelle: Bundesamt für Statistik