Zürich HB, Gleis 16: Um 10.23 Uhr fährt der Intercity pünktlich von St. Gallen her ein. Rund 25 Bahnreisende scharen sich auf dem Perron um Jeannine Pilloud, Leiterin SBB-Personenverkehr. Sie haben sich eingefunden, um am «weltweit ersten Rail Pitch Summit» teilzunehmen. Dabei handelt es sich um eine Gratisfahrt, bei welcher Jungunternehmen aus der Schweiz und Deutschland im Auftrag der SBB den Fahrgästen neue Produkt- und Serviceideen vorstellen. Die Passagiere haben sich übers Internet angemeldet. Sie sollen die Ideen auf ihren Kundennutzen hin bewerten. Etwa, ob sie den «Alltag erleichtern».

Zwischen den Präsentationen gibt es Gratishäppchen

Kaum steht der Intercity still, koppeln Rangierarbeiter einen Spezialwagen an den Zug. Im Innern stehen Ledersessel, zuvorderst ist ein Beamer samt Leinwand platziert. Jeannine Pilloud greift zum Mikrofon. Ziel der SBB sei es herauszufinden, welche «neuen Produkte und Services» Kunden «begeistern». 

Wer gedacht hat, es gehe um mehr Sitzkomfort, um ein gutes Gastroangebot im Zug oder um die Sauberkeit, sieht sich getäuscht. Den SBB ist es viel wichtiger, neue elektronische Dienstleistungen entwickeln zu lassen. Und klar wird auch: Zielpublikum der SBB sind Bahnkunden, die mit einem Smartphone oder Tablet unterwegs sind. 

Zuerst stellt die Digitalabteilung der Werbevermarktungsfirma Publicitas das Unterhaltungssystem Sweetspot vor. In den Zügen sollen Boxen eingebaut werden, von denen Reisende  drahtlos Filme, TV-Serien, Spiele oder einen City Guide kostenpflichtig herunterladen können. Der lokale Zugang wäre ein Ersatz für die oft instabile Verbindung im Zug. Aber: Wer braucht das Angebot, wenn er Medieninhalte als Podcast herunterladen und offline nutzen kann? 

Wohl um die Präsentationen verdaulicher zu gestalten, servieren SBB-Angestellte zwischendurch gratis Kürbissuppe, Sandwiches und Getränke. Zudem werden die Testenden immer wieder dazu angehalten, die herumgereichten Fragebogen auszufüllen. Was findet man gut und was nicht?

Auch die weiteren Ideen sind mässig nützlich: Travel Companion der Firma Upnext ist eine App, die ständig weiss, wo sich der Fahrgast befindet. Möglich machen das kleine Sender in Bahnhöfen und Zügen, die mit dem Smartphone kommunizieren. Die App nutzt die Informationen, um Empfehlungen zu senden, etwa, wo im Zug sich der nächste Snackwagen befindet. 

Wenig interessant auch der virtuelle Marktplatz und die Taxi-App 

Auf dem virtuellen Marktplatz Mila finden Smart­phone-Besitzer Angebote von Läden im und um den nächsten Bahnhof. Ihre Produkte, etwa Blumen oder Kleider, kann man gleich per Internet kaufen. 

Und die Uber-App ermöglicht es, bereits vom Zug aus ein Taxi an den HB Zürich zu bestellen – als ob am Taxistand vor dem Bahnhof nicht schon Dutzende von Fahrzeugen warten würden.

In Bern müssen die Gäste aussteigen und den nächsten Testern Platz machen. Personenverkehrschefin Pilloud bedauert es, nicht weiter mitfahren zu können. «Das war megamässig, eine coole Sache», schwärmt sie. Ob dies die SBB-Kunden auch so erlebt haben, ist zu bezweifeln. Bis Genf und zurück nach Zürich werden an diesem Tag insgesamt etwa hundert von ihnen die Präsentationen über sich ergehen lassen. 

Ein Fazit wollen die SBB erst später ziehen. Man sei daran, die Rückmeldungen auszuwerten. Danach folge der Entscheid, welche Ideen weiterverfolgt werden, lässt SBB-Kommunikationschef Stephan Wehrle auf Anfrage von saldo verlauten.

Tipp an die SBB: Interessanter wären Fragebögen, bei denen die Fahrgäste ankreuzen könnten, was ihnen an Dienstleistungen der SBB besonders wichtig ist: Möglichst viel Werbung auf dem Handy – oder ein bequemer Sitzplatz, saubere Wagen, pünktliche Züge, rasche Bedienung am Schalter und zahlbare Billette? Bei 1 Mil-lion Zugreisenden pro Tag wäre eine solche Umfrage aussagekräftiger.

SBB: Service nahm auch 2013 ab

Die SBB haben die Kennzahlen des letzten Jahres vorgelegt. In vielen Bereichen verschlechterte sich die Situation für Kunden:

  • Die Verkäufe an den Billettautomaten gingen um 16,4 Prozent zurück. Offenbar sind diese so schwierig zu bedienen, dass sie  von den Reisenden gemieden werden. Denn gleichzeitig nahmen die Billettbestellungen per Telefon um 75,7 Prozent zu. Das kostet pro Minute Fr. 1.19.
  • Der Umsatz an den Schaltern stieg um 1,4 Prozent, obwohl vielerorts die Öffnungszeiten eingeschränkt und Schalter geschlossen wurden. Dies zeigt: Persönliche Beratung ist nach wie vor ein grosses Bedürfnis. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der bedienten Schalter um einen Viertel gesunken.
  • Pro Zug bieten die SBB im Durchschnitt weniger Sitzplätze an, obwohl sie mehr Passagiere befördern: Im Fernverkehr sind es noch 622 Sitzplätze pro Zug – 4,2 Prozent weniger als vor zehn Jahren. Im Regionalverkehr gingen die  Sitzplätze um 12,7 Prozent zurück.
  • Für Gruppenreisen sind die SBB offenbar zu teuer geworden. Fahrten von Gruppen gingen in einem Jahr um 16,8 Prozent zurück. Im 10-Jahres-Vergleich hat sich die Zahl der  Gruppenreisen mehr als halbiert. Mit kostenpflichtig befördertem Gepäck nahmen die SBB im letzten Jahr 18,7 Prozent weniger ein. Dies, obwohl sie im Oktober neu einen Tür-zu-Tür-Service einführten. Grund dafür könnte der hohe Preis für die neue Dienstleistung sein: Der Transport von zwei Gepäckstücken kostet bei den SBB 78 Franken. Zum Vergleich: Die Swiss verlangt für den Abholservice bei zwei Koffern an den Flughafen 69 Franken.