Seit 1850 führt die Familie Burlet die Poststelle in Reichenburg SZ. Hermann Burlet übt den Job bereits in sechster Generation aus. Nun muss er um seine Existenz bangen. Wie es nächstes Jahr weitergeht, weiss er nicht. «Ich bin sehr enttäuscht von der Post und fühle mich ohnmächtig», sagt er. Er ist einer von sechs selbständigen Postunternehmern in der Schweiz. Die Post hat allen per Ende 2014 die Verträge gekündigt. 

Vor dem Hintergrund der damals sinkenden Mengen bei Briefen, Paketen und Einzahlungen lancierte die Post 2005 das Projekt Ymago. In vier Pilotprojekten erprobte sie Alternativen zur klassischen Postfiliale. Eines davon war das Modell «Postunternehmen»: Poststellenleiter werden zu selbständigen Unternehmern, die in ihren Poststellen neben den Postdienstleistungen weitere Produkte anbieten. Die Zusatzgeschäfte sollten die sinkenden Umsätze im Postbereich ausgleichen.

Das Projekt «Postunternehmen» verlief erfreulich. Laut dem Schlussbericht der Post von 2009 stieg die Kundenzufriedenheit in den jeweiligen Gemeinden «markant» an. Und die Rückgänge im Postsektor konnten kompensiert werden. Dennoch verfolgte die Post das Modell nicht weiter. Angeblich konnte sie nicht genügend Poststellenleiter finden, die den Mut aufbrachten, in die Selbständigkeit zu wechseln.

Die massive Erhöhung der Kundenzahl spricht für sich

Zurzeit gibt es noch sechs Postunternehmen in der Schweiz: in Altenrhein SG, Reichenburg SZ, Wauwil LU, Herznach AG, Ernen VS und Grono GR. Die selbständigen Postunternehmer geschäften erfolgreich. Für die Zustellung von Briefen und Paketen sowie für die Arbeit am Schalter werden sie von der Post entschädigt. Daneben haben sie sich zusätzliche Standbeine aufgebaut. 

Felix Bischofberger etwa verkauft in seiner Poststelle in Altenrhein Lebensmittel, Zeitungen, Papeterieartikel, Vignetten und Lose. Zudem betreibt er das örtliche Tourismusbüro und vermietet Velos. 60 Prozent des Umsatzes macht er mit dem Postbereich, 40 Prozent mit den Zusatzdienstleistungen. 

Die Kundenfrequenzen am Schalter konnte das Unternehmen um 44 Prozent auf 26 000 pro Jahr steigern. Dazu beigetragen haben die erweiterten Öffnungszeiten. Kunde Alex Keel schätzt es, dass er an einem Ort Geld beziehen, Einzahlungen tätigen, eingeschriebene Briefe abholen und Brot kaufen kann. Für den 52-jährigen Petri Maurer ist zudem der persönliche Kontakt sehr wichtig. «Hier ist man nicht nur eine Nummer.»

Um beachtliche 26 Prozent auf knapp 74 000 Personen pro Jahr hat auch Postunternehmer Hermann Burlet in Reichenburg seine Kundenfrequenzen erhöht. Mit Drittgeschäften erzielt er rund 20 Prozent seines Umsatzes. Er setzt vor allem auf Papeterieartikel und auf eine Textilreinigung.

Bei Marcel Suter in Herznach beträgt der Umsatzanteil des Postbereichs 40 Prozent. Weitere 40 Prozent erreicht er mit einem Gasthof. 20 Prozent entfallen auf Ausfahrten mit einem Oldtimer-Postauto, eine Papeterie in der Poststelle, Transporte für die Post sowie den Vertrieb von Emmentaler Käse. Die Zahl der Kunden konnte Suter um fast 70 Prozent auf 38 800 pro Jahr steigern.

Post behauptet, für die Kunden werde sich nichts ändern

Die selbständigen Postunternehmer zeigen: Mit Kundenfreundlichkeit, Ideen und Engagement können kleine Poststellen rentabel geführt werden. Wenn es aber nach den Chefs der Post geht, gibt es ab 2015 keine selbständigen Postunternehmer mehr. Künftig wollen sie nur noch klassische Poststellen, Agenturen in Dorfläden und den Haus­service zulassen.

Post-Sprecher Bernhard Bürki begründet den Schritt mit dem neuen Postgesetz, das im letzten Jahr in Kraft getreten ist. Post und Post­finance sind jetzt eigenständige Aktiengesellschaften. Damit habe sich die Situation verändert. Bisher habe die Post das Geldgeschäft direkt an die Postunternehmer delegiert. Neu übertrage die Postfinance gewisse Finanzdienstleistungen an die Post. Es sei unmöglich, dass die Post diese Dienstleistungen weiterdelegiere. «Wir können und wollen den Aufwand für solch ein aufwendiges Vertragskonstrukt nicht tragen.» Bürki sagt, die Post biete den rund 50 Mitarbeitenden der Postunternehmen eine neue Stelle an. Für die Kunden werde sich nichts ändern. 

Agenturen sind nicht in der Lage, denselben Service zu bieten

Das sehen die Postunternehmer anders. Bisher seien die Verhandlungen schlecht verlaufen. So wie es jetzt aussieht, müssen sich die Postunternehmer ihre Investitionen teilweise ans Bein streichen und auf die Zustellung von Briefen und Paketen verzichten. Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden ihre Poststellen zu Agenturen herabgestuft. 

Für die Kunden ist die Umstellung also eine klare Verschlechterung. Das Dienstleistungssortiment einer Agentur ist gegenüber einer Poststelle deutlich reduziert: Einzahlungen lassen sich nur noch bargeldlos erledigen. Für Spezialsendungen wie Betreibungs- und Gerichtsurkunden, Sendungen mit Nachnahme oder Zollausgaben und Taxen sowie Baranweisungen müssen die Kunden zur nächstgelegenen Poststelle fahren.