Ein hoher Blutzucker ist tückisch: Die Blutgefässe gehen langfristig kaputt, das Risiko für Schlaganfälle, Herzinfarkte oder gar fürs Erblinden steigt. Zudem droht ein Versagen der Nieren. Viele Ärzte geben daher starke Medikamente ab, um den Blutzucker zu senken.
Doch jetzt kommt eine grosse Studie zum Schluss: Wird der Blutzucker zu stark gesenkt, drohen riskante Unterzuckerungen mit Unruhe, Heisshungerattacken, Schwitzen, Denkausfällen oder gar Koma.
Forscher der Mayo-Klinik in Rochester (USA) untersuchten die Akten von über 31000 Patienten mit Diabetes Typ-2. Die Forscher stellten fest: Viele Patienten hatten Attacken von Unterzuckerung durchgemacht – häufig deshalb, weil sie teils während Jahren massiv mit Pillen behandelt worden waren. Und jeder vierte Patient hatte mehr als nötig erhalten.
Für Experten ist klar: Ärzte sollten weniger oft Diabetes-Medikamente verschreiben. Im Fokus sind Pillen wie Amaryl, Glutril oder Diamicron, die zur Gruppe der Sulfonyl-Harnstoffe gehören. Schon früher war bekannt, dass sie das Risiko für eine Unterzuckerung erhöhen. Auch Pillen wie Starlix, Prandin und Novonorm können den Blutzucker in den Keller jagen, wenn man zu wenig auf die Dosis achtet.
Zurzeit streben viele Ärzte an, Patienten auf den Blutzuckerwert eines Gesunden zu bringen. Dabei messen sie den Blutzucker indirekt über das zuckerhaltige Eiweiss HbA1c (siehe Unten). Der Wert sollte gemäss Richtlinien – auch der Schweizerischen Gesellschaft für Diabetologie und Endokrinologie – unter 6,5 Prozent betragen.
Das bringe mehr Risiken als Vorteile, sagt Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser. «Bei älteren Patienten ist ein Wert von weniger als 7,5 Prozent nicht sinnvoll.» Der Zürcher Diabetesarzt Roger Lehmann verteidigt die Richtlinie. Es sei immer noch angebracht, den Wert unter 6 Prozent zu senken, wenn man auf Mittel mit Sulfonyl-Harnstoffen verzichte. Das erhöhe das Risiko für Unterzuckerungen nicht.
Herstellerin Sanofi-Aventis schreibt, Amaryl wirke zuverlässig. Zu Beginn der Behandlung könne jedoch das Risiko einer Unterzuckerung erhöht sein. Novo Nordisk, Herstellerin von Novonorm, sagt, das Mittel baue sich im Körper schneller ab und führe daher seltener zu Unterzuckerungen.
Tipps: So misst man den Blutzucker
Ärzte können über den HbA1c-Wert ermitteln, ob sich im Blut seit längerem zu viel Zucker befindet. HbA1c ist ein Hämoglobin-Eiweiss, an das Zuckermoleküle gebunden sind. Je mehr Zucker im Blut ist, desto mehr Zucker bindet sich an das Hämoglobin. Das heisst, desto mehr HbA1c bildet sich. Der normale Anteil von HbA1c am Gesamthämoglobin beträgt 4 bis 6 Prozent. Höhere Werte weisen auf einen Diabetes hin.