Maria Falvo (Name geändert) aus Bäretswil ZH betreibt in Zürich seit rund zwanzig Jahren ein Nagelstudio. Für das Ladenlokal im Erdgeschoss bezahlt sie monatlich knapp 2500 Franken Miete. Auf Geheiss des Bundesrats musste sie ihr Geschäft am 16. März sofort schliessen. Die Zwangsschliessung dauert bis mindestens am 19. April.

Viele andere Dienstleister sind vom Verbot ebenfalls betroffen: etwa Coiffeure, Tätowierer oder Masseure. Und sämtliche Läden, die keine Lebensmittel oder Gegenstände für den täglichen Bedarf anbieten. 

Falvo hat während mindestens ­einem Monat keine Einnahmen mehr, muss aber die Miete weiter bezahlen. Tatsächlich? Das ist umstritten. In Österreich wäre die Rechtslage klar: Dort steht im Bürgerlichen Gesetzbuch, dass Mieter keinen Zins bezahlen müssen, wenn sie das Mietobjekt wegen «Feuer, Krieg oder Seuchen» nicht benutzen können. Das Schweizerische Obligationenrecht kennt keine so ­klare Gesetzesbestimmung. 

Mieter können Räume nicht wie vertraglich vereinbart nutzen

Trotzdem kommt der Mieterverband Deutschschweiz zum Schluss, dass Geschäftsmieter eine Mietzinsreduktion von bis zu 100 Prozent verlangen können. Laut Verbandsjurist Fabian Gloor stellt die notrechtliche Betriebsbeschränkung einen Mangel dar. Der Mieter könne die Räume nicht wie vertraglich zugesichert benutzen und schulde die Miete deshalb nicht – oder bei eingeschränktem Betrieb nur teilweise. Anderer Ansicht ist der Hauseigentümerverband. Das Mietobjekt sei trotz Schliessung gebrauchstauglich. Die Geschäfte würden deshalb weiterhin den vollen Mietzins schulden. 

Vito Roberto, Professor an der Uni St. Gallen, sieht die Recht­slage wie der Mieterverband: «Das Verbot, die Mietsache zu nutzen, stellt einen Mangel dar.» Alle Geschäftsmieter, die ihre Räume nicht mehr wie vereinbart gebrauchen dürfen, könnten deshalb eine Mietzinsreduktion verlangen. Bei einem Ladenlokal komme es darauf an, in welchem Umfang es noch genutzt werden könne – allenfalls etwa für den Betrieb eines Internetshops. Der Mieter schulde auch einen Teil des Zinses für die Einlagerung von Waren und Mobiliar.

Ähnlich sieht es Thomas Koller, ehemaliger Professor an der Uni Bern. Er argumentiert mit dem Rechtsgrundsatz der «clausula rebus sic stantibus». Dieser besagt, dass ein Vertrag nicht wie bisher weiter gelten soll, wenn sich die Umstände wesentlich ändern und das zu einem groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung führt. «Gemäss Schweizer Rechtsprechung dürfen Richter den Vertrag gestützt auf diesen Grundsatz anpassen», erklärt Koller. Bei den vom Bundesrat verordneten Geschäftsschliessungen handelt es sich laut dem Professor um «aussergewöhnliche, nicht voraussehbare und nicht vermeidbare Umstände», die eine Mietzinsreduktion rechtfertigen.

Die Professoren raten den Geschäftsmietern, den Mietzins nicht ­eigenmächtig zu reduzieren. Sonst würden sie eine Kündigung wegen Zahlungsverzugs riskieren. Immerhin hat der Bundesrat die Frist zur nachträglichen Zahlung von 30 auf 90 Tage erhöht. Koller empfiehlt ­ihnen, die Miete zu bezahlen und dem Vermieter mitzuteilen, dass sie der Meinung sind, den Mietzins nicht oder nicht voll zu schulden. Und dass sie sich vorbehalten, diesen zurückzufordern. Wer einen Finanzengpass habe, solle um einen Aufschub der Zahlung ersuchen. Können sich Mieter und Vermieter nicht über eine ­Reduktion einigen, kann der Mieter klagen. Zuständig ist die Schlichtungsstelle für Mietsachen am Ort des Geschäfts.