Jeder Bewohner der Schweiz verursachte 2017 laut dem Bundesamt für Umwelt einen CO2-Ausstoss von 4,5 Tonnen. Es sind gar drei Mal so viel, wenn man die durch Importgüter im Ausland verursachten Emissionen dazuzählt. In dieser Zahl ist der internationale Flug- und Schiffsverkehr noch nicht einmal eingerechnet. Auch so liegt die Schweiz schon über dem weltweiten Durchschnitt von knapp 6 Tonnen.
Der Wert müsste bis ins Jahr 2050 auf 1 bis 1,5 Tonnen sinken, um das internationale Ziel einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf weniger als 2 Grad zu erreichen. Laut der Umweltschutzorganisation WWF fliegen die Schweizer zehnmal mehr als der Weltdurchschnitt. Ein Flug von Zürich nach New York und retour belastet das Klima gemäss WWF mit 2,6 Tonnen CO2 pro Passagier.
Biogasanlagen in Indien, holzsparende Kocher in Afrika
Hier kommt Myclimate ins Spiel. Wer mit besserem Gewissen fliegen will, kann über die Zürcher Klimastiftung «in Klimaschutzprojekte investieren und dadurch die durch die Flugreise verursachten CO2-Emissionen ausgleichen». So steht es auf der Website der Fluggesellschaft Swiss. Die Kompensation eines Flugs in die USA kostet einen Passagier 19 Franken. Das kann er bei der Buchung des Tickets begleichen. Der WWF kommt sogar auf 67 Franken. Mit den CO2-Kompensationen finanziert die Stiftung Myclimate beispielsweise Aufforstungen in Nicaragua, Biogasanlagen zur Reduktion von Methangas in Indien oder holzsparende Kocher für Familien in Kenia. Traditionell wird in Afrika auf offenen Feuerstellen gekocht. Das verbraucht Unmengen an Feuerholz und stösst viel CO2 aus.
Das Geschäft mit der Kompensation läuft wie geschmiert. Privatleute oder Firmen können auch Emissionen durch Kreuzfahrten, den privaten Stromverbrauch oder Autofahrten ausgleichen. In der Medienmitteilung zum Jahresergebnis von 2017 schrieb Myclimate, man blicke «auf das erfolgreichste Geschäftsjahr seit der Gründung zurück». Im Vergleich zum Vorjahr sei zehn Prozent mehr CO2 kompensiert worden. Die Erträge beliefen sich auf 10,6 Millionen Franken.
Wer sich die Mühe macht, die Jahresberichte zu studieren, dem fällt auf: In den vergangenen zehn Jahren waren die Einnahmen aus den CO2-Kompensationen meist deutlich höher als die Ausgaben für die Klimaschutzprojekte. So wurden 2017 bloss 5,6 Millionen Franken für Projekte ausgegeben, obwohl Myclimate-Kunden mehr als 10 Millionen einzahlten. Auch laut den noch unveröffentlichten Zahlen für das Geschäftsjahr 2018 gibt es einen grossen Einnahmeüberhang: Knapp 17 Millionen Franken Einzahlungen – ein Rekord – stehen nur knapp 10 Millionen Ausgaben für den Klimaschutz gegenüber.
Total nahm Myclimate seit 2008 fast 115 Millionen Franken ein, gab jedoch nur 84,5 Millionen für Klimaschutzprojekte aus. Differenz: 30,5 Millionen Franken. Ein grosser Teil der nicht verwendeten Spendengelder floss in den sogenannten Klimafonds der Stiftung. Ende 2018 lagen 10,8 Millionen Franken im Topf. Dazu kommen laut Bilanz fast 2 Millionen «erarbeitetes freies Kapital». Um die jährliche Höhe des Klimafonds eruieren zu können, muss man mühsam die Berichte der Revisionsstelle zu Rate ziehen. Doch auf der Website von Myclimate fand sich bloss der Bericht von 2017. Erst auf Anfrage von saldo wurden die übrigen Berichte aufgeschaltet. Myclimate sagt, sie seien aus technischen Gründen bei der Überarbeitung der Website verloren gegangen.
Für administrativen Aufwand zieht Myclimate jährlich bis zu 20 Prozent von den Einnahmen ab. Auffallend sind die hohen Reserven. Das lässt vermuten, dass Myclimate zu wenig Projekte hat. Auf der Website heisst es allerdings: «Sofort könnten wir bei entsprechender Nachfrage ein Mehrfaches an Emissionsreduktionen in bestehenden und geplanten Projekten realisieren.»
Schwer verständliches Fondsmodell
Myclimate-Sprecher Kai Landwehr erklärt: «Es wäre möglich, mehr Klimaschutzprojekte umzusetzen.» Das könne man aber nur, wenn man die Gewissheit habe, dass in den Folgejahren entsprechend hohe Einnahmen fliessen. «Wir arbeiten mit einem Fondsmodell inklusive eines zeitverzögerten Zahlungsmechanismus, um den Projekten eine sichere Finanzierung und unseren Kunden eine garantierte CO2-Minderung zu gewährleisten.» In der Regel müsse der CO2-Ausstoss spätestens zwei Jahre nach Eingang der Kompensationsgelder kompensiert werden. Das Geld im Klimafonds sei festen Projekten zugewiesen. «Unsere Projektpartner erhalten die Gelder erst, nachdem die Emissionsreduktion erfolgt ist und zertifiziert wurde.» Myclimate spricht selbst von einem «komplexen Fondsmodell». Dass die Stiftung fast 20 Jahre nach ihrer Gründung immer noch so viel Geld auf die hohe Kante legt, ist für Aussenstehende schwer verständlich. Damit steht Myclimate aber nicht allein da. Der deutsche Marktführer Atmosfair wies 2017 Reserven von knapp 8 Millionen Euro aus.
Immerhin: Die Kompensationsgelder von Myclimate liegen auf einem Konto der Zürcher Kantonalbank – ohne Negativzinsen, wie die Stiftung versichert.