Frauen sollen regelmässig ihre Brüste röntgen lassen und Männer ab 50 zum Prostata-Check. Ärzte empfehlen solche Vorsorgetests, um Krebs frühzeitig zu erkennen. Doch diese Tests haben einen ernsthaften Nachteil: Die Ärzte finden viele Tumore, die den Patienten keinerlei Probleme verursachen, zum Beispiel solche, die sehr langsam wachsen. Sie hätten nie Beschwerden ausgelöst und das Leben der Patienten nicht verkürzt.
Doch weil der Arzt das nur schwer abschätzen kann, kommen viele Patienten unters Messer, erhalten Bestrahlungen und Chemotherapien, die sie nicht brauchen. Sie setzen sich unnötig dem Risiko starker Nebenwirkungen wie Erschöpfung oder Haarausfall aus.
Das passiert oft, wie eine neue Studie aus Australien zeigt. Die Fachzeitschrift «Medical Journal of Australia» veröffentlichte die Untersuchung im März. Das Forscherteam der Bond-Universität in Gold Coast hat erstmals die Anzahl solch unnützer Diagnosen bei fünf Krebsarten berechnet. Die Forscher verglichen dazu die Zahlen der jeweiligen Krebsdiagnosen in Australien aus dem Jahr 1982 mit den deutlich gestiegenen Zahlen von 2012. Sie schätzen, dass es sich bei 18 Prozent aller Krebsdiagnosen bei Frauen um unnütze Diagnosen handelte, bei Männern sogar bei 24 Prozent.
Beispiel Prostatakrebs: 42 von 100 Krebsdiagnosen sind gemäss der Studie unnütz. Umgerechnet auf die Schweiz betrifft das über 2500 Männer pro Jahr. Viele müssen sich wegen der Diagnose die Prostata entfernen lassen. Oft sind sie danach impotent oder verlieren ungewollt Urin. Vorteile haben sie keine. Sie leben keinen Tag länger. Studienautor Paul Glasziou: «Ihnen hilft die Therapie nicht, sie schadet nur.»
Pro Jahr 1300 fragwürdige Brustkrebsdiagnosen
Beispiel Frauen mit Brustkrebs: Hier sind 22 von 100 Diagnosen fragwürdig. In der Schweiz betrifft das rund 1300 Frauen pro Jahr. Der Krebsbefund versetzt sie in Angst, sie müssen sich operieren lassen, Bestrahlungen und Medikamente erdulden. Dabei hätten sie trotz der Krebszellen genauso lange gelebt. Die Autoren der Studie fordern verfeinerte Untersuchungsmethoden, die harmlose Tumore besser von gefährlichen unterscheiden.
Der Arzt und klinische Epidemiologe Johannes G. Schmidt aus Einsiedeln SZ geht davon aus, dass die Situation in der Schweiz ähnlich ist wie in Australien. Er sagt: «Das Problem wird noch immer unterschätzt.» Es sei vor allem eine Folge von Aufrufen zu Massentests wie dem Mammografie-Screening, Hautkrebskampagnen oder dem Prostata-Check für alle Männer ab 50. Fachleute empfehlen solche Vorsorgetests nur Menschen mit hohem Risiko, zum Beispiel weil der Krebs in der Familie häufig ist.
Nicht nur Vorsorgetests führen zu fragwürdigen Diagnosen. Oft entdecken Ärzte einen Tumor auch zufällig bei Untersuchungen mit Magnetresonanz, Röntgen oder Ultraschall, zum Beispiel Krebs in der Schilddrüse. Hier bringen laut der australischen Studie 73 von 100 Diagnosen keinen Vorteil für die Patienten. Im Gegenteil: Oft müssen sich die Patienten die Schilddrüse entfernen lassen und Medikamente schlucken. Eine Studie des Berner Inselspitals kam 2017 zum Schluss, dass auch Schweizer Ärzte häufig eigentlich harmlose Tumore in der Schilddrüse finden und es öfter zu unnötigen Behandlungen kommt. Die Autoren raten, die Schilddrüse nur bei Beschwerden untersuchen zu lassen. Kleinere Tumore sollte man beobachten, statt sie sofort zu operieren.
Diese Vorsorgetests sind sinnvoll
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