Sie heissen Humalog, Novorapid oder Lantus und unterscheiden sich geringfügig vom menschlichen Insulin. Die Pharmaindustrie überschwemmt zurzeit mit diesen sogenannten Insulinanaloga den Markt und verdrängt zunehmend das bewährte Humaninsulin, das bei Diabetes eingesetzt wird. Davon sind nur noch drei Produkte auf dem Markt: Actrapid, Huminsulin und Insulatard. Genaue Umsatzzahlen sind für die Schweiz nicht bekannt.
In Deutschland verschrieben Ärzte im Jahr 2024 laut der Firma Novo Nordisk 72 Prozent weniger Humaninsulin als noch vor zehn Jahren – und dies, obwohl es immer mehr Diabeteskranke gibt.
Die Hersteller werben mit Vorteilen der Analoga: Einige sollen besonders schnell wirken, andere besonders langsam. So würden sie eher gefährliche Unterzuckerungen vermeiden.
Fachleute sind besorgt. Der Wiler Hausarzt Etzel Gysling, Herausgeber der Fachzeitschrift «Pharma-Kritik», sagt: «Humaninsuline sollten nicht verschwinden.» Sonst hätten Patienten weniger Auswahl bei der Therapie. Und der Zürcher Hausarzt Thomas Walser kritisiert: «Man weiss nicht, ob Insulinanaloga besser sind als Humaninsulin.»
Forscher befürchten höheres Krebsrisiko
Das Forschernetzwerk Cochrane verglich den Nutzen von Humaninsulin mit Insulinanaloga. Es berücksichtigte dabei Studien mit 10'000 Patienten. Resultat: Insulinanaloga schnitten nicht besser ab als Humaninsulin. Ein einziges Präparat zeigte leichte Vorteile: Das Medikament Levemir konnte eher Unterzuckerungen verhindern. Das gilt aber nur bei Patienten mit Diabetes Typ 1, deren Körper kein Insulin produziert. Auch das «Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen» sieht keine Vorteile.
Ein weiterer Punkt: Forscher befürchten ein höheres Krebsrisiko durch Insulinanaloga. Studien dazu kommen zu widersprüchlichen Resultaten. «Der Verdacht lässt sich nicht abschliessend ausräumen», schrieb die deutsche Zeitschrift «Arznei-Telegramm».
Künstliche Insuline bringen mehr Umsatz als Humaninsuline
Die neuen Insuline sind zwei Drittel teurer als Humaninsuline, schreiben Experten der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin auf ihrer Internetseite. Mit der Konzentration auf Analoga würden die Kosten in der Diabetestherapie steigen. Das «Arznei-Telegramm» sieht den «Siegeszug der Insulinanaloga» als «Ausdruck eines geschickten Marketings». Pharmafirmen würden den Umsatz von Insulinanaloga steigern, indem sie günstigere Mittel nicht mehr produzieren.
In der Schweiz spritzen die meisten erwachsenen Patienten bereits Analoga. Das zeigt eine Umfrage von saldo unter Diabetologen. Genaue Zahlen gibt es dazu nicht, in Deutschland dagegen schon. Dort spritzen sich laut «Arznei-Telegramm» bereits neun von zehn Diabetikern Insulinanaloga.
Stefan Fischli, Chefarzt Endokrinologie und Diabetologie am Luzerner Kantonsspital, sieht auch Vorteile bei den künstlichen Insulinen: «Analoga sind im Alltag für die Betroffenen in vielen Aspekten deutlich besser zum Anwenden.» Dank den Insulinanaloga seien keine Zwischenmahlzeiten nötig, und nach dem Essen könne man den Blutzucker besser kontrollieren.
Novo Nordisk schreibt, sie biete weiter Human- und Analoginsuline an. Letztere würden zu weniger Unterzuckerungen führen als Humaninsuline. Lantus-Herstellerin
Sanofi verweist auf die Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, die davon ausgeht, dass Analoga «dem physiologischen Insulinverlauf näherkommen als Humaninsuline». Daten würden kein erhöhtes Krebsrisiko zeigen. Die Wahl des Insulins sei eine medizinische Entscheidung, «der Preis ist nicht ausschlaggebend».