Volle 93 Seiten umfasst die Dokumentation, die ich als saldo-Redaktorin von Coop nach meinem Gesuch um Einblick in die gespeicherten Daten zugestellt erhielt. Aufgelistet ist jeder Einkauf mit meiner Supercard bei den Unternehmen der Coop-Gruppe seit 2017. Aus den Daten ist auch ersichtlich, wann ich wo in den Ferien war. Ich setzte die Supercard am 21. und 24. Juli 2019 in Scoul GR ein und am 8. und 12. Februar 2020 in Grindelwald BE. Weiter erfahre ich, wie Coop mich persönlich einschätzt: als eine Kundin mit einer mittleren Präferenz für nachhaltige Produkte, einem mittleren Interesse an Rabattangeboten und einer hohen Präferenz für günstige Produkte.
Migros: Alle Kassenzettel der letzten zwei Jahre gespeichert
Auch die Migros sammelt Daten ihrer treuen Cumulus-Kunden. Sie liefert zwar nur fünf Seiten. Im Kundenportal im Internet lassen sich aber sämtliche Kassenzettel der vergangenen zwei Jahre abrufen. Der Datenschatz der Migros ist ähnlich umfangreich wie der von Coop. Die Migros teilt mich beim «Kaufmotiv» in die Gruppe «Ausgewogenheit & Qualität» ein. Sie sieht mich als Teil einer «etablierten Familie». Ich verhalte mich «preisneutral» – zahle also auch mal etwas mehr, wenn die Qualität stimmt. Weitere Kriterien, nach der die Migros ihre Kundschaft einteilt: «Preis/Leistung», «Premium-Käufer» oder «preissensitiv». Auch Lebensabschnitt oder Familiensituation interessieren: etwa «Golden Ager», «Senior» oder «Alleinstehend».
Lidl: Treueprogramm nur mit Handy-App benutzbar
Seit kurzem führt auch Lidl ein Kundenbindungsprogramm mit dem Namen «Lidl Plus». Der grösste Unterschied zu Migros und Coop: Das Treueprogramm lässt sich nur mit einer Handy-App nutzen. Wer bis zu 50 Prozent Rabatt oder Gratisartikel erhalten will, muss zustimmen, dass die App Kundendaten sammelt. Erlaubt es der Kunde, greift die App zudem auf Standortdaten zu. So will Lidl künftig ortsbezogene «individuelle Services anbieten». Lidl erklärt, die Daten würden nicht dauerhaft gespeichert.
Migros, Coop und Lidl benutzen die gesammelten Daten, um ihre Kunden zu mehr Käufen zu verleiten. Die Migros zum Beispiel stellt Cumulus-Kunden Rabattcoupons zu – angepasst an die jeweiligen Kaufgewohnheiten. Auch Coop verschickt seinen Supercard-Kunden zielgruppenspezifische Werbung und Bons. Lidl sagt, man verfüge noch über zu wenig Daten, um individualisierte Angebote zu machen. Das sei jedoch das Ziel, sobald man die Präferenzen der Kunden besser kenne.
Daten gehen an Inkassofirmen, Facebook und Google
Laut dem Kleingedruckten werden die gesammelten Informationen auch an Dritte weitergegeben. So räumt sich etwa die Migros in ihrer Datenschutzerklärung das Recht ein, Informationen über nicht bonitätswürdige Kunden an ihre Tochterfirmen weiterzugeben. Dazu gehören zum Beispiel Micasa, Activfitness oder Ex Libris. Die Migros schreibt saldo: «Zurzeit werden innerhalb der Migros-Gruppe keine Personendaten für Bonitätsprüfungen weitergegeben.»
Gemäss ihren Vertragsbedingungen kann die Migros Informationen auch an externe Firmen weiterleiten, mit denen sie zusammenarbeitet. Genannt werden etwa Werbeagenturen oder Inkassofirmen. Daten zum Surfverhalten auf Migros-Internetseiten werden an IT-Firmen wie Facebook und Google gesandt. Ziel sei es, «die Kunden auf eigenen oder fremden Websites sowie in sozialen Netzwerken mit individualisierter Werbung» anzusprechen. Auch Coop und Lidl verfahren so mit den Daten der Kunden. Lidl nutzt für seine App zusätzlich das Analysetool Adjust. Es zeichnet jeden Klick oder jede Suche in der App auf und tauscht diese Daten mit Google und Facebook aus.
Manchmal greifen selbst die Behörden auf Informationen zu
Auf Kundendaten haben auch Behörden Zugriff. Beispiel: Die Gemeinde Pratteln BL fand vor einigen Jahren illegal deponierten Abfall, darin Migros-Kassenzettel mit Cumulus-Kartennummern. Die Gemeinde verlangte von der Migros die Namen und Adressen von total fünf Karteninhabern und konnte so die Abfallsünder überführen.
Das Beispiel zeigt: Behörden können in einem Strafverfahren auf Kundendaten zugreifen, um einen Sachverhalt zu klären oder Beweismittel zu erhalten. Sie brauchen dazu nur eine schriftliche Herausgabeverfügung einer Staatsanwaltschaft. Christof Scheurer, stellvertretender Generalstaatsanwalt des Kantons Bern, bestätigt: «Es ist naheliegend, dass in einem Strafverfahren auch die mit Kundenkarten verknüpften Informationen genutzt werden.»
Auch die Staatsanwaltschaften beispielsweise von Luzern, St. Gallen, Zug und Zürich erklären, dass ab und zu Kundenkartendaten eingeholt würden. Es handle sich um ein paar Fälle pro Jahr. Migros und Coop sagen saldo nicht, wie oft sie Kundendaten an Behörden liefern.