Letzte Woche stimmten 181 Nationalräte für eine Senkung der überrissenen Handypreise fürs Telefonieren im Ausland. Nur 5 stimmten gegen den Vorstoss, in dem die Berner Nationalrätin Ursula Wyss die Petition der K-Tipp- und saldo-Leser vom Juni aufgenommen hatte. So konsumentenfreundlich war das Parlament in den letzten vier Jahren sonst nie.


Konsumentenanliegen finden meist keine Mehrheit im Parlament

Das Abstimmungsresultat zeigt: Die Nationalrats­wahlen vom Oktober werfen ­ihren Schatten voraus. Denn in den letzten vier Jahren stimmten die gleichen Parlamentarier häufig mehrheitlich gegen die Interessen ihrer Wähler. Mit 126 zu 62 Stimmen entschied sich der Nationalrat im Jahr 2008 beispielsweise für die Senkung der Pensionskassenrenten. Das Volk konnte diesen Entscheid im März 2010 rückgängig machen – auch dank des Referendums der K-Tipp- und saldo-Leser.

Die versuchte Senkung der Renten ging vor allem auf das Konto der Parlamentarier der SVP, FDP und CVP. Umgekehrt stellten sich linke und grüne Parlamentarier gegen ihre ­Wähler. Sie traten zwar für den Ausgleich der kalten Progres­sion bei den Bundessteuern ein. Sie wollten diese aber erst ausgleichen, wenn die Teuerung 3 Prozent erreicht hat. Im Nationalrat obsiegte schliesslich die für die Steuerzahler fairere Lösung des jährlichen Teuerungsausgleichs.
Diese Beispiele zeigen: Bei den National- und Ständeratswahlen vom 23. Oktober geht es ums Portemonnaie der Schweizer. Doch welche Parlamentarier vertreten die Interessen der Bevölkerung?


Zwanzig Abstimmungen im Nationalrat unter die Lupe genommen

saldo hat den Volksvertretern bei zwanzig für die Steuerzahler, die Sozialversicherten und die Konsumenten wichtigen Abstimmungen auf die Finger geschaut. Denn bekanntlich misst man Politiker besser an den Taten als an ihren Worten.

Bei den ausgewählten Abstimmungsgeschäften geht es etwa um Steuern, Renten, Postporti, Telefongebühren, den Direktimport von Waren, das Produktesicherheitsgesetz oder das Verbot von missbräuchlichen Vertragsklauseln (siehe Kasten  auf der nächsten Seite). Ausgewertet wurde das Abstimmungsverhalten der wiederkandidierenden National­räte der Deutschschweiz und der Kantone Freiburg und Wallis.

Ergebnis: Kein Wiederkandidierender hat durchwegs im Sinne der Konsumenten abgestimmt. Fünf SP-Parlamentarier ent­schieden sich immerhin in 17 ­Fällen konsumentenfreundlich: Evi Allemann, Jacqueline Fehr, Bea Heim, Daniel Jositsch und Silvia Schenker. Nur bei der ­Senkung der Posttarife, der Wiedereinführung der Buchpreisbindung und dem Ausgleich der kalten Progression votierten diese fünf nicht gerade kundenfreundlich. Die ausführliche Auswertung finden Sie hier.

SP-Präsident Christian Levrat begründet die abweichenden Voten seiner Partei damit, dass die Buchpreisbindung die Qualität und Vielfalt des Angebotes erhalte. Es sei auch falsch zu ­glauben, von einer Senkung der Posttarife würden die Konsumenten profitieren.


Auffallend ist bei der SP die Fraktionsdisziplin. Das heisst: Die SP-Parlamentarier stimmen nicht nach ihrer persönlichen Überzeugung, sondern so, wie die Mehrheit ihrer Parlamentarier beschliesst.

Dasselbe gilt für die SVP-Parlamentarier: Bei 16 der 20 Abstimmungen haben sie ziemlich geschlossen ­gegen die Konsumenten­anliegen votiert.
Deshalb kommen in der saldo-Auswertung elf SVP-National­räte auf 16 Negativpunkte, darunter Pirmin Schwander, Hansruedi Wandfluh oder Parteipräsident Toni Brunner.

Mit 17 konsumentenfeindlichen Entscheidungen ist der Solothurner SVP-Nationalrat Walter Wobmann das Schlusslicht der Auswertung. Im Unterschied zu ­seinen Kollegen stimmte er bei der Buchpreisbindung ebenfalls gegen die Verbraucher. Er versteht sich deswegen keineswegs als konsumentenfeindlich. So findet Wobmann, mit seinem Votum gegen das Cassis-de-Dijon-Prinzip habe er konsumentenfreundlich entschieden. Dieses Prinzip regelt den freien Import von Waren, die in der EU zugelassen sind.

Unter den Wiederkandidierenden mit 16 konsumentenfreundlichen Entscheidungen finden sich weitere zehn Vertreter der SP sowie der Bieler Ex-SPler Ricardo Lumengo und fünf grüne Parlamentarier. Grüne-Vizepräsidentin Franziska Teuscher betont, Konsumentenschutz dürfe nicht nur auf billige Preise reduziert werden, sondern müsse umwelt- und sozialverträglich sein. Deshalb hätten die Grünen gegen das Cassis-de-Dijon-Prinzip gestimmt.


Bei CVP und GLP überwiegen Voten für die Konsumenten

Das Stimmverhalten der Kandidierenden von GLP, CVP, BDP und FDP bewegt sich zwischen den Polen von SP/Grünen und SVP. Bei der CVP und GLP überwiegen die konsumentenfreundlichen Voten. CVP-Präsident Christophe Darbellay zum Beispiel hat sich zehnmal für die Interessen von Konsumenten entschieden. Die Nationalräte von BDP und FDP gebärden sich eher konsumentenfeindlich. BDP-Präsident Hans Grunder hat nur in fünf Fällen im Sinne der Verbraucher gestimmt, jedoch elfmal dagegen.

Sogar zwölfmal gegen und nur dreimal für die Konsumenten hat FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger  votiert – damit kann er bei der SVP mithalten. Leutenegger sagt, sein Abstimmungsverhalten zeige, dass er sich gegen zu viel Bürokratie und Staatseingriffe wehre. Das helfe den Konsumenten wirklich.


Abstimmungen zu Konsumenten-Themen: So wurden die Politiker bewertet


saldo wollte wissen: Wie konsumentenfreundlich sind die Nationalräte, die sich diesen Herbst zur ­Wiederwahl stellen? Dazu wurde das Abstimmungsverhalten der 112 wiederkandidierenden Nationalräte in den letzten vier Jahren untersucht. Berücksichtigt wurden die Wiederkandidierenden der Deutschschweizer Kantone und der zweisprachigen Kantone Wallis und Freiburg, die während der ganzen Legislatur im Rat sassen.

saldo recherchierte, wie die Politiker bei zwanzig für die Konsumenten wichtigen Ge­schäften abgestimmt haben:


Wiedereinführung Buchpreisbindung
: Im Buchhandel besteht seit Mai 2007 Preiswettbewerb. Neu sollen wieder verbindliche Preise gelten. Das verteuert viele Bücher.


Parallelimporte
: Patente dürfen nicht mehr dazu missbraucht werden, günstige Einfuhren am offiziellen Vertriebskanal vorbei zu verhindern.


Cassis-de-Dijon-Prinzip
: Produkte, die in einem EU-Land zugelassen sind, dürfen ohne weitere Auf­lagen auch in der Schweiz verkauft werden.


AGB-Artikel
: Allzu einseitige allgemeine Ge­schäftsbedingungen zu­lasten der Konsumenten sollen unwirksam sein.


Jährlicher Ausgleich der kalten Progression
: Die Steuerzahler (Bundessteuer) sollen nicht allein wegen des Teuerungsausgleichs schärfer besteuert werden. Der Ausgleich der Teuerung erfolgt jährlich und nicht erst, wenn die Teuerung 3 Prozent erreicht hat.


Mindestumwandlungssatz BVG
: Kürzung der Pensionskassenrenten um 6 Prozent für alle, die demnächst pensioniert werden.


Bundesgesetz über Produktesicherheit
: Gebote und Verbote, die zum Ziel haben, die Gefährdung der Menschen durch Produkte zu reduzieren. Sie regeln Entwicklung, Herstellung, Verkauf, Gebrauch und Entsorgung von Produkten.


Revision Arbeitslosenversicherung
: Sanierung der ALV durch höhere Lohnabzüge und Leistungsabbau. Vor allem Langzeitarbeitslose und unter 30-Jährige werden schlechtergestellt.


Krebsregister
: Forderung, in der Schweiz ein flächendeckendes Krebs­register zu erstellen. Dies soll helfen, mehr Klarheit über die Folgen von Atomanlagen zu erhalten.


Set-Top-Boxen-Zwang
: Recht der Konsumenten, das Empfangsgerät für verschlüsselte digitale TV-Kanäle frei wählen zu können, statt eine vom Anbieter vorgeschriebene Set-Top-Box verwenden zu müssen.


Handy-Roaming-Ge­bühren
: Auftrag an den Bundesrat, die EU-Verordnung zur Senkung der Handy-Roaming-Gebühren ins schweizerische Recht zu übernehmen. Damit werden Schweizer Mobilfunk­anbieter gezwungen, im Ausland tiefere Telefon­tarife zu verlangen.


Senkung der Posttarife
: Die Post schwimmt im Geld. Sie soll ihre hohen Preise im Monopolbereich senken.


Verbesserter Schutz für Anleger
: Auftrag, ein Kontrollinstitut zu schaffen, das Finanzprodukte auf ihre Risiken und Information hin prüft und missbräuchliche Vertragsklauseln der Finanzdienstleister für nichtig erklären kann. Zudem sollen alle Provisionen des Finanzdienstleisters dem Kunden gutgeschrieben werden.


Teilrevision Fernmeldegesetz
: Die Aufsichtsbehörde Comcom soll von sich aus einschreiten können, falls Anhaltspunkte vorliegen, dass die Swisscom den Netzzugang für andere Anbieter behindert. Von verfügten Preissenkungen profitieren Konsumenten rascher.


Stärkung des Bauherrenschutzes
: Massnahmen zum besseren Rechtsschutz der Bauherrschaft bei Baumängeln oder Baupfusch.
n Biometrischer Pass: Die Vorlage enthält nicht nur die Einführung des biometrischen Passes, sondern auch die zentrale Speicherung der Biometriedaten sowie die Abgabe von Identitätskarten mit Chip.


Effizienzstandard für Elektrogeräte
: Die Energieeffienzklassen sollen sich an der besten verfügbaren Technologie orientieren. 


Besserer Schutz bei Internetgeschäften
: Forderung, bei Online-Einkäufen eine Gewährleistungspflicht des Verkäufers einzuführen. Konsumenten sollen zudem ein Widerrufsrecht erhalten.


Mehr Schutz für Kleinanleger
: Erhöhung der ­Einlagensicherung pro Bankkunde von 30 000 auf 100 000 Franken.


Umweltlabels zur Förderung des fairen Handels: Vereinheitlichung der vorhandenen Sozial- und Um­weltlabels in einer öffentlich-privaten Partnerschaft.

Hier gehts zur ausführlichen Auswertung.