Bundesrat bestraft die Pendler, statt zu sparen
Verkehrsministerin Leuthard will die Pendler stärker zur Kasse bitten. Dabei hätte sie es in der Hand, bei den SBB Hunderte von Millionen zu sparen.
Inhalt
saldo 02/2011
30.01.2011
Letzte Aktualisierung:
01.02.2011
Werner Fischer
Keinem Unternehmen käme es in den Sinn, sich über eine stetige starke Zunahme der Kunden zu beschweren – ausser den SBB. Im Halbjahrestakt rechnen Politiker und Bahnverwaltungsräte die Mehrkosten durch den Anstieg der Zugpassagiere vor. Von den zusätzlichen Einnahmen ist dabei keine Rede, auch nicht von den jährlich steigenden Gewinnen im Personenverkehr (siehe saldo 15/10).
Keinem Unternehmen käme es in den Sinn, sich über eine stetige starke Zunahme der Kunden zu beschweren – ausser den SBB. Im Halbjahrestakt rechnen Politiker und Bahnverwaltungsräte die Mehrkosten durch den Anstieg der Zugpassagiere vor. Von den zusätzlichen Einnahmen ist dabei keine Rede, auch nicht von den jährlich steigenden Gewinnen im Personenverkehr (siehe saldo 15/10).
Die SBB transportieren über 300 Millionen Passagiere pro Jahr
Die Erfolgszahlen: 900'000 Menschen reisen täglich mit dem Zug. 328 Millionen Menschen waren 2009 mit den SBB unterwegs – 2008 waren es noch 323 Millionen. 400'277 Generalabonnemente verkauften die SBB 2009. 374'769 waren es im Jahr zuvor. Und beim Halbtax-Abonnement waren es rund 70'000 mehr im Vergleich zum Vorjahr.
Zurzeit hat es die neue Verkehrsministerin Doris Leuthard (CVP) auf den Geldbeutel der Bahnfahrer abgesehen: Zugbillette sollen 10 Prozent teurer werden. Der Bundesrat brauche 850 Millionen Franken zusätzlich pro Jahr für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Begründet wird die Forderung mit den steigenden Pendlerzahlen. Deshalb will Leuthard künftig die Pendler zur Kasse bitten.
Zuerst Flexibilität von Angestellten gefordert und dann kritisiert
Nur: Die Pendler haben oft keine Wahl. In den Städten gibt es keine freien Wohnungen – und schon gar nicht solche, die für Familien bezahlbar sind. Und die örtliche Flexibilität der Angestellten wurde bisher vom Volkswirtschaftsdepartement auch unter Bundesrätin Leuthard – nicht nur gelobt, sondern sogar ausdrücklich gefordert.
In einem Punkt hat die Bundesrätin aber recht: Die grossen Pendlerströme verursachen hohe Mehrkosten. SBB-Sprecher Reto Kormann: «50 Prozent der täglich über 900'000 Kunden sind in rund 25 Prozent der Betriebszeit auf ihren Zügen.»
Konkret: Sie sind morgens zwischen 6 und 8.30 Uhr und abends zwischen 16.30 und 19.30 Uhr unterwegs. Bis zum Jahr 2030 wird im öffentlichen Verkehr in Ballungsräumen eine Verdoppelung der Nachfrage erwartet. Gleichzeitig liegt die durchschnittliche Auslastung der SBB-Züge im gesamten Tagesverlauf auf tiefem Niveau.
Sie betrug 2009 im Fernverkehr 30,7 Prozent und im Regionalverkehr sogar nur 18,9 Prozent. Die hohe Auslastung in den Hauptverkehrszeiten am Morgen und Abend ist mit gewaltigen Kosten verbunden.
Dafür braucht es mehr Waggons für längere Züge, mehr Doppelstock-Kompositionen und für die häufigeren Verbindungen muss auch mehr Personal beschäftigt werden. In der Zeit dazwischen muss man die Züge rangieren und irgendwo unterbringen, um sie dann für einen kurzen Einsatz wieder bereitzustellen.
Für Kormann ist klar: «Die Züge kosten auch, wenn wir sie ausserhalb der Hauptverkehrszeit rangieren und abstellen müssen. Wir können überzählige Züge nicht im Schrank verstauen und bei Bedarf wieder hervorholen.»
Das geht ins Geld. Im SBB-Geschäftsbericht 2009 heisst es wörtlich: «Wenn es gelingen würde, die Verteilung der Nachfrage bis 2030 etwas günstiger zu gestalten und die Spitzenzeiten um 5 bis 10 Prozent zu entlasten, liessen sich so für die öffentliche Hand und damit für die Steuerzahler Hunderte von Millionen Franken zusätzlicher Investitionen in Schienen und Rollmaterial einsparen.»
Besser gesteuerter Schulbeginn würde die Spitzen brechen
Das könnten die Behörden auf einen Schlag umsetzen. Die Konzentration von Schülern, Studenten und Angestellten verteuert den Bahnverkehr in der Morgenspitze. Die meisten Angestellten können den Arbeitsbeginn nicht frei wählen.
Aber der Schulbeginn am Morgen könnte um eine Stunde verschoben werden. Oder: Gewisse Klassen könnten erst um 10 Uhr starten und dann am Abend länger büffeln. So lägen die An- und Rückreise garantiert vor und nach den Stosszeiten.
Und die SBB sowie all die regionalen Verkehrsbetriebe bräuchten nicht nur bedeutend weniger Rollmaterial, es würde auch nicht den grossen Teil des Tages zu einem horrenden Preis unbenutzt herumstehen.