Am Rand des grünblauen Swimmingpools steht der muskelbepackte Ronny mit seiner gertenschlanken Trainingspartnerin. Das hautenge Fitnessdress spannt sich über dem muskulösen Körper. Im Hintergrund säuselt sanfte Musik und im klaren Wasser des Pools spiegelt sich die strahlende Sonne.
Ronny del Rosso ist Fitness-Coach aus Hamburg. Auf seiner DVD «Pilates in Motion» zeigt der Braungebrannte den aktuellsten Fitnesstrend aus Amerika: Pilates.
Mit Pilates – einer Mischung aus Gymnastik, Yoga und Krafttraining – sollen Träume wahr werden: «Sie werden schöner und gewinnen mehr Selbstbewusstsein und Ausstrahlung», heisst es auf dem Umschlag von del Rossos DVD.
Angriffspunkt des Trainings sind die neuralgischen Punkte jeder Frau: Bauch, Beine und Po. Genau das Richtige für einen Selbstversuch. Zumal del Rosso beruhigt:
Mangelnde Fitness sei kein Hindernis. Und: «Ronny del Rosso und seine Trainingspartnerin leiten Sie durch das abwechslungsreiche Programm und geben Ihnen Anweisungen zur richtigen Ausführung der Übungen.»
Ob Kurs, Buch oder DVD: Der Boom ist riesengross
Es beginnt mit einer Übung im Stehen. Die Arme gestreckt nach vorne, hochheben bis über den Kopf und seitlich wieder senken. Dabei Schultern runterdrücken, tief atmen und die Bauchmuskeln anspannen. Das schaffen tatsächlich auch noch Untrainierte. Ronny del Rosso lächelt.
Pilates boomt auch in der Schweiz: Fitnessstudios, Migros Klubschule, Pro Senectute und selbst Tanzschulen bieten entsprechende Kurse an. Und in der Buchhandlung gibts weit über hundert Bücher und DVDs zum Thema. Viele Fachleute empfehlen Pilates nicht nur, um die Fitness zu fördern und Rückenproblemen vorzubeugen. Auch bei der Rehabilitation nach Verletzungen sind die Übungen nützlich. Ebenso als Rückbildungsturnen nach einer Schwangerschaft. Damit sollen das erschlaffte Gewebe und der Beckenboden gestärkt werden.
Zweite Übung. Sie heisst «Leg pull»: In die Liegestützestellung, Füsse leicht auseinander, auf den Zehenspitzen balancierend die Fersen zusammenpressen. Schon nach kurzer Zeit beginnen die Arme zu zittern, das Kreuz sackt ein. Die Bauchspannung will sich nicht mehr einstellen. Ein verzweifelter Blick zum Bildschirm: Ronny del Rosso lächelt. Jetzt heisst es auch noch hoch mit dem Bein, zuerst das rechte, dann das linke.
Das Fazit nach einer halben Stunde «Basis-Übungen»: ein verkrampfter Nacken, eine schmerzende Hüfte und drei Tage übler Muskelkater. Das Körpergefühl ist kein bisschen besser und das Selbstvertrauen alles andere als gestärkt.
«Pilates braucht eine professionelle Instruktion»
Fachleute erstaunt das nicht. Cornelia Hauser, Leiterin Physiotherapie und Sportrehabilitation an der Schulthess Klinik in Zürich: «Pilates ist ein anspruchsvolles Training und braucht eine professionelle Instruktion.» Bücher und DVDs hält sie nicht für einen geeigneten Einstieg ins Pilates. «Die Gefahr ist zu gross, dass man die Übungen falsch macht.» Dann kann das Training der Gesundheit mehr schaden als nützen. Vor allem Rücken und Schultern sind gefährdet.
So berichtete kürzlich auch das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» von «Pilates-Opfern» wie Britta Groth: «Ich hoffte, meine Nackenschmerzen würden weggehen – stattdessen wurden sie schlimmer und ich bekam auch noch Kopfschmerzen», erzählte die 38-Jährige. Weitere Frauen klemmten sich beim Training Nerven ein, bekamen Rückenschmerzen oder es sprang gar ein Lendenwirbel heraus.
Kursbelegung sollte bei maximal sechs Personen liegen
Doch auch in vielen Pilates-Kursen ist eine gute Anleitung nicht garantiert. Lynn Watkins vom Schweizer Pilates-Verband kritisiert, dass viele Trainer ungenügend ausgebildet sind: «Pilates boomt – und damit sind auch Anbieter auf den Zug aufgesprungen, die nicht viel davon verstehen.»
Ein guter Trainer mache bei jedem Anfänger zuerst eine genaue Analyse der Körperhaltung und frage nach gesundheitlichen Beschwerden. So könne er ein passendes Übungsprogramm zusammenstellen, das die körperlichen Schwachstellen jedes Kunden berücksichtige. Zudem müsse der Trainer im Kurs bei jedem Teilnehmer immer überprüfen, ob er die Übungen richtig macht. «Das geht nur bei einer kleinen Gruppe von höchstens sechs Personen», sagt Lynn Watkins.
Medizinisch geschultes Personal ist zu empfehlen
Besonders vorsichtig sollten Menschen sein, die bereits Probleme mit Rücken, Gelenken oder Muskeln haben. Cornelia Hauser empfiehlt ihnen, sich bei einer Physiotherapeutin unterrichten zu lassen. Das bestätigt Elif Zimmermann, Pilates-Trainerin an der Zürcher Uniklinik Balgrist: «Heikel ist es vor allem, wenn jemand gar keinen Sport gemacht hat und erst damit beginnt, wenn er gesundheitliche Probleme hat.» Dann sei es besser, wenn der Pilates-Trainer eine medizinische Grundausbildung habe.
Solche Kurse bieten einige Physiotherapeuten mit eigener Praxis an, aber auch Spitäler, wie etwa die Zürcher Kliniken Balgrist, Schulthess und Zollikerberg, die Basler Ita Wegmann Klinik und die Rehaklinik in Rheinfelden.
Pilates: Das müssen Sie beachten- Pilates muss professionell instruiert werden. Pilates-Fachbücher und -Videos eignen sich deshalb nicht für den Einstieg im Selbststudium. Die Gefahr ist zu gross, dass man die Übungen falsch macht.
- Wenn Sie sich für einen ausgeschriebenen Kurs interessieren: Fragen Sie zuerst den Pilates-Instruktor nach seiner Ausbildung. Der Schweizer Pilates-Verband verlangt 700 bis 800 Stunden für sein Zertifikat.
- Lassen Sie sich von einem Physiotherapeuten unterrichten, wenn Sie Probleme mit dem Bewegungsapparat haben. Viele Spitäler und selbständige Physiotherapeuten bieten Kurse an.
- Besuchen Sie Kurse mit möglichst wenig Teilnehmern. Für völlig Ungeübte mit gesundheitlichen Problemen können am Anfang ein paar Stunden Einzeltraining hilfreich sein.
- Vorsicht bei Schmerzen während oder nach dem Training. Die Übungen dürfen zwar anstrengend sein, sollten aber nicht wehtun.
- Schwangere sollten auf ein Pilates-Training verzichten.