Alptraum Traumschiff
Lange Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung, nur selten Tageslicht: Eine ehemalige Angestellte eines Luxus-Kreuzfahrtschiffs schilderte dem K-Tipp ihre Erfahrungen.
Inhalt
K-Tipp 04/2012
19.02.2012
Letzte Aktualisierung:
21.02.2012
Beatrice Walder K-Tipp
Als Noemi Miller (Name geändert) vom Schiffsunglück der «Costa Concordia» erfuhr, dachte sie: «Auf unserem Schiff wäre die Rettung wohl ähnlich chaotisch verlaufen.» Für den Notfall habe es nur alibimässige Übungen gegeben: «Niemand zeigte mir, was ich bei einer Evakuierung konkret hätte tun müssen.»
Im Arbeitsvertrag mit der Reederei musste sich Miller verpflichten, nicht über ihre Erfahrung...
Als Noemi Miller (Name geändert) vom Schiffsunglück der «Costa Concordia» erfuhr, dachte sie: «Auf unserem Schiff wäre die Rettung wohl ähnlich chaotisch verlaufen.» Für den Notfall habe es nur alibimässige Übungen gegeben: «Niemand zeigte mir, was ich bei einer Evakuierung konkret hätte tun müssen.»
Im Arbeitsvertrag mit der Reederei musste sich Miller verpflichten, nicht über ihre Erfahrungen an Bord zu sprechen. Sie arbeitete als Rezeptionistin auf einem Luxus-Kreuzfahrtschiff, das im Mittelmeer und im Atlantik unterwegs war. Miller: «Die Arbeit auf dem Schiff war sehr hart. Neun Personen waren für 2600 Gäste zuständig, die pausenlos reklamierten» – wegen defekter Klimaanlagen, fehlerhafter Getränkerechnungen oder weil die Gäste die täglich automatisch belasteten Trinkgelder zurückverlangten.
Pro Tag arbeitete sie zwei Schichten zu sechs bzw. sieben Stunden. Dazwischen hatte sie zwei Stunden Pause – das alles bei einer Siebentagewoche. Immerhin durfte sie im gleichen Restaurant wie die Offiziere essen. Andere Angestellte hätten die Resten vom Gästebuffet essen müssen. Auch bei der Unterbringung sei sie mit ihrer fensterlosen Zweibett-Kabine mit Dusche und WC privilegiert gewesen. Andere hätten die Kabine mit zwei, das Bad mit fünf Personen teilen müssen.
«Ich fühlte mich wie im Gefängnis», erinnert sich Miller. Die meiste Zeit habe sie ohne Tageslicht unter Deck verbracht und wegen der langen Arbeitseinsätze fast nie an Land gehen können.
Nach eineinhalb Monaten verliess sie das Schiff: «Ich brauchte einige Wochen, um mich von den Strapazen zu erholen.»
Monatslohn von 1300 Franken
Laut Arbeitsvertrag erhielt sie neben Kost und Logis rund 1300 Franken pro Monat. Dafür musste sie 390 Stunden arbeiten. Das sind 13 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche. Stundenlohn: Fr. 3.30.
Um den Job zu erhalten, musste sie rund 950 Franken für medizinische Untersuchungen, einen Strafregisterauszug, ein Visum und ein Seemannsbuch ausgeben. Das Rückflugticket für 1400 Franken musste sie selber zahlen, weil sie den Arbeitseinsatz vorzeitig abgebrochen hatte.
Schlechte Arbeitsbedingungen auf Billigflaggen-Schiffen
Viele Kreuzfahrtschiffe fahren unter sogenannten Billigflaggen. Sie sind in Ländern wie Panama, Bahamas, Bermudas und Marshall Islands registriert.
Hängt am Mast die Flagge der Bermudas, gilt an Bord das Recht der Bermudas. Die Besatzung muss dann Arbeitsbedingungen akzeptieren, die in europäischen Ländern undenkbar wären.
Die internationale Transportarbeiter-föderation (ITF) setzt sich weltweit für bessere Arbeitsbedingungen auf solchen Schiffen ein. «Etwa 90 Prozent der Kreuzfahrtschiffe haben Verträge mit Gewerkschaften abgeschlossen», sagt Johan Oyen von ITF. Die Organisation empfiehlt einen monatlichen Mindestlohn für einen Koch, Kellner oder Steward von rund 530 Franken (basierend auf einem 8-Stunden-Tag), nebst Kost, Logis und Rückflugticket. Üblich seien jedoch Arbeitstage von 10 Stunden. Zusammen mit den Überstunden und bezahlten Ferien müssten solche Arbeitskräfte mindestens 1100 Franken verdienen. Auf der untersten Stufe (Putzpersonal etc.) sollte ein Mindestlohn von 315 Franken – mit Überstunden und Ferientagen 660 Franken – garantiert sein.